Pädagogische Aspekte
Die Entstehungsgeschichte des Fussballs erzählt uns, wie den englischen Schulen Mitte des 18. Jahrhunderts daran gelegen war, die damaligen Massenraufereien mit Regeln zu zähmen und erzieherisch zu nutzen. Diesbezüglich kann man auch bei der Entstehungsgeschichte des Flag Football davon ausgehen, dass erzieherische und gesundheitsfördernde Überlegungen eine Rolle spielten.
Als sich die US-Truppen für den zweiten Weltkrieg vorbereiteten, musste für die Soldaten eine Möglichkeit geschaffen werden, damit sie ihre überschüssige Energie loswerden konnten. Das traditionelle American Football birgt ein hohes Verletzungsrisiko. Um dieses zu mindern wurde als Alternative Flag Football entwickelt. So verbreitete sich Flag Football relativ schnell. Heute spielen viele Ex-Profis aus der NFL in der AFFL. Aber auch in anderen Ländern wird Flag Football als «gesündere» Variante des American Football zelebriert.
Wie man den zahlreichen Regelwerken entnehmen kann, hat das Spiel die klare Zielsetzung, sich den aktuellen Voraussetzungen anzupassen, sowohl situative wie auch personelle Gegebenheiten mit passenden Regeln zu gestalten. Aus Sicht der Autoren scheint es in der Phase der Spieleinführung sinnvoll, im Schulsport die kontaktlose Variante anzuwenden, unabhängig der Zahl der Spielenden.
Fördern von überfachlichen Schlüsselkompetenzen
«Der Sportunterricht soll den Lernenden die Möglichkeit bieten, Bewegung und Sport gemeinsam als Ausgleich und Ergänzung zur Arbeitswelt zu erleben.
Das «Dabeisein» und «Miteinander» erhalten unter diesem Aspekt eine grundlegende Bedeutung: Die Lernenden erleben soziale Integration, eine positive Klassen- und Gruppendynamik und lernen sich so einzubringen, dass aus Individuen eine Gemeinschaft entsteht. Dabei erfahren sie, dass es sich lohnen kann, eigene Bedürfnisse zurück und persönliche Stärken in den Dienst des ganzen Teams zu stellen. Die Erfahrungen aus dem gemeinsam Erlebten stärken die Gruppe wie die Einzelnen und wirken bereichernd (siehe Rahmenlehrplan für Sportunterricht in der beruflichen Grundbildung, 2014)».
Durch Flag Football können die im RLP erwähnten überfachlichen Kompetenzen intensiver gefördert werden. Vorwiegend soziale Aspekte, wie die Kommunikationsfähigkeit, als auch die Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Toleranz finden grossen Spielraum und Entwicklungspotenzial. Zumindest liefert das Spiel Flag Football Handlungsfelder, die ideal beobachtbar sind.
Auszug aus dem RLP Berufsfachschulsport
Spiel – Selbstkompetenz:
- «Die Lernenden erleben und erkennen ihre planerischen und organisatorischen Fähigkeiten »
- «Die Lernenden erkennen Spielmöglichkeiten und nehmen sie wahr.»
Lernende in Regelwahl einbeziehen
Ebenso scheint es sinnvoll, die Lernenden je nach Entwicklungsstand in die Wahl der Regeln mit einzubeziehen.
Die Lernenden sollen erkennen, dass Spielregeln notwendig sind, wenn Spielhandlungen der Spielidee widersprechen oder das Spiel auf Grund ihres Verhaltens nicht angemessen in Gang gesetzt wird. Die Beobachtung, Beurteilung und Bewertung der Ursachen von gelingendem Zusammenspiel kann damit gefördert werden und auf diese Weise wachsen die Regeln mit dem Spielgeschehen und werden von Spielenden nicht als fremdbestimmt, sondern als spielzugehörig empfunden. Das Grundmotto sollte sein: «So wenig Regeln wie möglich, so viel Regeln wie nötig.»
Ein Tipp zur Erarbeitung von Klassenregeln: Alle Regeln dienen immer entweder zur Beschleunigung oder zur Temporeduktion des Spielgeschehens. Regeln grenzen Gefahren ein, die ansonsten ein Spiel ins Stocken bringen oder treiben eine langweilige Spielsituation an, die ebenso das Spiel in Langeweile ersticken würde. Klare Regeln können sowohl einbinden als auch Spielräume öffnen – je nachdem was die Situation gerade fordert.
Auszug aus dem RLP Berufsfachschulsport
Spiel – Pädagogische Zielsetzungen: «Spiele verändern, erfinden und Spielgelegenheiten schaffen»
Herausforderung – Selbstkompetenz:
- «Eigene Fähigkeiten realistisch einschätzen, nutzen und dabei die Sicherheit beachten.»
- «Sicherheitsbewusstsein entwickeln und Sicherheitsvorkehrungen treffen.»
- «Sportliche Herausforderungen gestalten und sicher durchführen.»
Eine Chance bei heterogenen und koeduzierten Klassen
Gerade in Schulstufen mit koedukativem Unterricht und hoher Heterogenität, wie sie im Berufsschulsport anzutreffen ist, scheint die kontaktlose Variante sehr passend.
Doch nicht nur die körperlose Verteidigung, sondern auch die kick- wie auch schussfreie Spielvariante des Flag Footballs eignet sich hervorragend zur Förderung unterschiedlicher Schlüsselqualifikationen. Als Team- und Ballsport wird hier der Spielgegenstand ausschliesslich geworfen und gefangen, heisst:
- Das Spiel fokussiert auf Spielvarianten im Mannschaftssport, die ausschliesslich das Miteinander ins Zentrum stellen.
- Passen und Fangen beinhalten spieltechnisch gesehen eine gelingende Kommunikation zwischen Zuspieler und Fänger.
- Lauf- und Passbewegungen müssen so aufeinander abgestimmt werden, dass sie gelingen und zum gemeinsamen Erfolg führen.
- Der Spielgegenstand wird nie im Sinne des Spiels zum Geschoss und somit können sich Spielende, die in ihrer Bildungsgeschichte negative Erfahrungen mit Bällen gesammelt haben auch wieder ungefährdet mit ihrer Aufmerksamkeit ohne Angst vor dem Ball dem Spiel widmen.
Ebenso wie eher schwachen Ballsportlern das Mitspielen erleichtert wird, gibt es auch den Aspekt, dass ballverliebte Ballkünstlerinnen in ihrer Selbstinszenierung eher verhindert werden. Da es im Umgang mit dem Spielgegenstand ausser dem Zuspiel keine technisch hochstehenden Fertigkeiten gibt, die dem Spiel dienen, erübrigen sie sich. Alleine durch Ballkunst kommt niemand zum Erfolg. Hinzu kommt, dass auch bei Nichtbeherrschen der Wurftechnik trotzdem vollumfänglich am Spiel teilgenommen werden kann, da nicht alle Teammitglieder in der Rolle als Werfer für ein gelingendes Spiel benötigt werden.
Somit ist die Sportart Flag Football in leistungsheterogenen Gruppen, wie auch koedukativ, ideal einsetzbar. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Lernenden sind variabel. Zudem ist dieser Spielsport in kurzer Zeit erlernbar. Mit einer angepassten Variante des Flag Footballs kann somit die im Rahmenlehrplan Sport für Berufsfachschulen erwähnte Integration optimal vollzogen werden..
Auszug aus dem RLP Berufsfachschulsport
Herausforderung – Sozialkompetenz: «Die Lernenden klären Rollen, vereinbaren Regeln und halten sich daran und übernehmen Verantwortung im vereinbarten Rahmen.»
Rollen in der Organisation und im Team klären und verteilen
Sinnvoll scheint es, dass die Lehrperson beim Schlussspiel Flag Football in erster Linie die Rolle des Spielleiters bzw. Referees und weniger die Rolle eines Trainers, Coachs oder Pädagogen übernehmen sollte. So können die Lernenden die Rolle des «Entwicklers» und der «Unterstützerin» übernehmen.
Die in zwei Teams aufgeteilte Klasse könnte sich selbstbestimmt noch weitere Rollen innerhalb ihrer Teams zuteilen: sowohl neben dem Feld, als Beobachter, Coach, Ersatzplayer oder Cheerleader, als auch auf dem Feld in den bekannten Spielerrollen (Quarterback, Center, Running Back, Wide Receiver etc.).
Mit der Zuteilung der Rollen, die auch gewechselt werden sollten, können die Lernenden erleben, ihre Stärken und Schwächen teamgerecht einzusetzen. Zudem sollen sie aus unterschiedlicher Perspektive ihren Beitrag zu einem gelingenden Spiel erfahren.
Den Lernenden könnte z.B. ein Whiteboard pro Team zur Verfügung gestellt werden, welches die Lehrperson bereits bei den Einstiegsübungen im Unterricht verwendet hatte. Darauf können die Lernenden vornotierte Lauf- und Wurfwege sowie die Kürzel ihrer Teamrollen kennen lernen.
Auszug aus dem RLP Berufsfachschulsport
Herausforderung – Sozialkompetenz: «Die Lernenden klären Rollen, vereinbaren Regeln und halten sich daran und übernehmen Verantwortung im vereinbarten Rahmen.»
Spielanalysen, förderorientierte Feedbacks und Reflexion
Mit dem Board wie auch im Vorfeld eingeplanten regelmässigen Time-Outs haben die Teams die Voraussetzung, um ihre Spielvarianten zu besprechen und beobachtete Situationen zu analysieren. Zudem können im Austausch Erkenntnisse für neue Spielhandlungen vereinbart werden.
Time Out sollten einen hohen Spielfluss zulassen und nicht unnnötig abbremsen. Sie dienen den Lernenden als Feedbackschlaufe und sollen ihnen im Team Möglichkeiten öffnen, Geschehenes zu analysieren, zu besprechen und dementsprechend weitere Handlungen zu planen und zu vereinbaren.
Ist diese mögliche Feedbackschlaufe eingeplant, scheint es stimmig, die sensibilisierte Beobachtungs- und Beurteilungsfähigkeiten auch gleich für das qualifizierende Feedback des Sportunterrichts zu nutzen.
Feedback, Korrekturen und Anregungen erfolgen zwischen der Lehrperson und den Lernenden (Supervision) wie auch zwischen den Lernenden (Intervision) sowie in Selbstreflexion. Letztere soll auf allen Stufen des Lernprozesses gefördert werden: Dadurch wird Lernen bewusstgemacht und Erfahrungswissen aufgebaut. «Förderorientierte Rückmeldungen beziehen sich immer auf ein Verhalten, dienen einer direkten Zielerreichung und begünstigen den Lernerfolg.
Die Lehrperson Sport bindet die Art, Form und Häufigkeit der Rückmeldeprozesse im Unterricht ein und orientiert sich an der Individualität der Lernenden» (siehe «Rahmenlehrplan für Sportunterricht in der beruflichen Grundbildung, 2014»).
Anbei finden Lehrpersonen einen Vorschlag für einen möglichen Beobachtungsbogen, der von den Lernenden für andere Lernende oder zur Selbstreflexion ausgefüllt werden kann. Besonders interessant und wertvoll kann es sein, wenn die verschiedenen Wahrnehmungen (z. B. Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung eines Mitlernenden sowie Fremdwahrnehmung der Lehrperson) miteinander verglichen werden.
Bevor der Bewertungsbogen von den Lernenden ausgefüllt wird, sollten mit ihnen mögliche beobachtbare Kriterien für das Auftreten der jeweiligen Kompetenzen anhand von Beispielen besprochen werden. Es soll den Lernenden auch klar sein, dass nicht alle Kompetenzen immer in einem Spielgeschehen beobachtbar sind, auch wenn sie vorhanden wären.
Das Instrument «Skalierung»
Da sportliche Handlungen in der Regel sehr komplex sind, eignet sich für Selbst- und Fremdeinschätzungen das förderorientierte Instrument «Skalierung».
Das Vorgehen: Zu einem bestimmten Thema (in unserem Fall ein Beobachtungsaspekt im Spiel Flag Football) wird die Einstiegsfrage gestellt: «Bezüglich dem Aspekt XY, wo siehst du dich auf einer Skala von 1 bis 10? Dabei bedeutet eine 1 ‹schlechter geht’s nicht› und 10 ‹ich besitze keinerlei Steigerungspotenzial mehr›».
Nach der Einschätzung (z. B. gibt sich der Lernende den Wert 6) folgt die nächste Frage: «Wie hast du es geschafft, auf diesen Wert zu kommen?». Im Anschluss wird die folgende Frage gestellt: «Was müsste geschehen, damit du auf der Skala um einen Punkt nach oben rutschst?»
Konkretes Beispiel: Ein Lernender schätzt sich selber ein, wo er bezüglich des Aspektes «Ich habe engagiert beim Spiel Flag Football teilgenommen.» steht:
- Frage 1: Wie habe ich es geschafft, eine 6 zu erreichen?
- Frage 2: Was muss ich verändern, damit ich eine 7 erreiche?
Das Instrument «Skalierungsfragen» bietet folgende Vorteile:
- Positive Förderorientierung: Die Sportlehrperson geht mit Interesse und vorurteilsfrei auf die Lernenden zu. Die Fragen sind förderorientiert gestellt und zielen auf das Entwicklungspotenzial an und nicht auf die Defizite.
- Commitment: Die erarbeiteten Handlungsschritte haben den Charakter einer Selbstverpflichtung. Was man sich selbst verordnet hat, wird eher umgesetzt als das, was man verordnet bekommt.
- Stärken des Selbstbewusstseins: Der Lernende erlebt, dass er alleine auf funktionierende Lösungsideen kommen kann. Zudem deklariert er bei jedem Skalieren eigene Stärken.
- Zeitersparnis: Eine Skalierung kann mit überschaubarem Zeitaufwand durchgeführt werden, obwohl komplexe Themen bearbeitet werden.
Auszug aus dem RLP Berufsfachschulsport
Herausforderung – Methodenkompetenz: «Die Lernenden variieren
Spielmöglichkeiten und erfinden neue. Sie gehen bei Konflikten lösungsorientiert vor.»
Herausforderung – Methodenkompetenz: «Die Lernenden wenden
objektive Kriterien zur Beurteilung von Fähigkeiten an.»