Sportpsychologie – Trainerpersönlichkeit erfolgreich weiterentwickeln

Teil 2 – Mein Rollenverständnis als Trainer/-in

«Ich bin halt, wie ich bin», hat neulich ein Trainer zu seiner Athletin gesagt. Über viele Generationen hat dieses Denken funktioniert. Heute erwarten junge Athletinnen und Athleten flexible Coaches, die ihre Komfortzone verlassen, sich reflektieren und im «Entwicklungsmodus» funktionieren. In einer dreiteiligen Serie gehen wir der Trainerpersönlichkeit auf den Grund.

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Stilisierte Ikone, Rodin "Der Denker"
Innehalten, reflektieren, Neues entwickeln: Neben Training und Wettkampf ist die Selbstreflexion ein zentrales Element für die persönliche Weiterbildung einer Trainerin oder eines Trainers.

Autor/Autorin: Philipp Schütz, Verantwortlicher Berufstrainerlehrgang Trainerbildung Schweiz, Manuela Müller, Verantwortliche Fachbereich Psychologie, Trainerbildung Schweiz

Nachdem wir uns im ersten Teil der Serie mit unseren Eigenschaften und Motiven befasst haben, nehmen wir heute das Rollenverständnis von Trainerinnen oder Trainern unter die Lupe.

Zur Erinnerung – das ist unser Persönlichkeits-Puzzle:

Das Persönlichkeits-Puzzle: Was unsere Persönlichkeit ausmacht

Das Persönlichkeits-Puzzle: Was unsere Persönlichkeit ausmacht
Abb. 1: Dr. Stephan Horvath in Anlehnung an McAdams & Pals, 2006

Bevor wir ins Thema einsteigen: Lese nochmals nach, welche sechs Rollen wir als Trainerin und Trainer in verschiedenen Situationen innehaben. Das hilft dir, ein klares Bild deines Anforderungsprofils zu erhalten.

Bin ich mir meinen Rollenerwartungen bewusst?

Vielleicht ist dir das auch schon passiert: du schaust dir einige Stunden Videos deiner Athletinnen und Athleten an, hast nach dem Morgentraining zwei Einzelgespräche geführt, solltest das Training von morgen vorbereiten und gleichzeitig melden sich Eltern von Athletinnen und Athleten. Eigentlich bist du müde, aber am Abend haben sich zuhause Gäste angekündigt.

Zudem hast du Ende Woche eine Präsentation für deinen 50%-Job im Baugeschäft. Nächste Woche bist du für einen Weiterbildungskurs in Magglingen angemeldet. Du fragst dich, wie du diese Rollen alle in angemessener Weise erledigen und die Erwartungen deiner Athleten, deinem Partner und deinem Arbeitgeber erfüllen kannst?

Du befindest dich inmitten eines Rollenkonflikts. Welche Rollenkonflikte gibt es denn überhaupt?

Interrollen-Konflikt

Interrollen-Konflikt

Deine unterschiedlichen Rollen konkurrieren sich gegenseitig.

Intersender-Konflikt

Intersender-Konflikt

Verschiedene Personen haben unterschiedliche, zum Teil entgegengesetzte Erwartungen an dich.

Intrasender-Konflikt

Intrasender-Konflikt

Die gleiche Person hat unterschiedliche, zum Teil entgegengesetzte Erwartungen an dich.

Selbstrollen-Konflikt

Selbstrollen-Konflikt

Die Erwartungen von aussen lassen sich nicht mit deinen Werten vereinbaren.


Gegenseitige Konkurrenz

Abbildung: Interrollen-Konflikt
Abbildung: Interrollen-Konflikt

Schauen wir uns die vier verschiedenen Situationen im Detail an: Wenn sich deine unterschiedlichen Rollen wie im oben erwähnten Beispiel gegenseitig konkurrieren, sprechen wir von einem Interrollen-Konflikt. Du musst in diesem Fall damit leben, bestimmte Erwartungen nicht erfüllen zu können. Du kannst es nicht allen recht machen.

Welche Strategie hilft gegen einen Interrollen-Konflikt?

  • dir ein klares Bild über deine eigenen Rollen machen
  • die Erwartungen der einzelnen Rollen klären (z.B. aktiv nachfragen)
  • Rollenerwartungen «aushandeln»
  • zwischen «Muss», «Kann» und «Soll» Erwartungen unterscheiden
  • Freiräume zur Gestaltung der einzelnen Rollen nutzen
  • Abgrenzungsstrategien erarbeiten (z.B. Nein sagen)

Verschiedene Erwartungen erfüllen

Abbildung: Intersender-Konflikt
Abbildung: Intersender-Konflikt

Neben dem Interrollen-Konflikt gibt es den Intersender-Konflikt: Du bist Trainerin eines U17 Teams. Die Mutter einer deiner Athleten erwartet von dir, dass alle Athleten die gleichen Trainings- und Wettkampfvoraussetzungen haben (z.B. Spielzeit). Der Vater eines anderen Athleten findet, dass die besten Sportler mehr gefördert werden sollen (z.B. zusätzliche Trainings in der U19).

Die Erwartungen des Umfelds (Eltern, Athletinnen/Athleten), aber auch die Erwartungen innerhalb des Klubs an dich können sehr unterschiedlich sein. Jede Trainerin muss sich bewusst sein, dass an ihre Trainerinnenrolle sehr vielseitige Erwartungen und Verhaltensweisen geknüpft sind. Diesen Anforderungen musst du dich als «Rollenträger/-in» entsprechend deiner Position stellen. Du kannst es auch hier nicht allen recht machen.

Welche Strategie hilft gegen einen Intersender-Konflikt?

  • deine eigenen Werte und Bedürfnisse kennen
  • mit dem Arbeitgeber eine gemeinsame Klub-/Verbands-Philosophie definieren
  • Zeit einplanen, um alle Beteiligten «ins Boot» zu holen (z.B. Infoanlass)
  • unterschiedliche Meinungen anhören und mit Fakten antworten
  • Rollenkritik nicht zu persönlicher Kritik werden lassen (Rollendistanz)
  • mit unterschiedlichen Erwartungen «leben lernen»

Äusserem Druck standhalten

Abbildung: Intrasender-Konflikt
Abbildung: Intrasender-Konflikt

Stell dir vor: dein Verein hat einen neuen Präsidenten engagiert. Er ist sehr ehrgeizig und will auch im Nachwuchs schnell gute Resultate erzielen. Nach jeder Niederlage kommt er im Training vorbei und fragt, warum die Erfolge ausbleiben. Gleichzeitig fordert er von dir, dass du jedes Jahr Athleten ausbildest, welche das Rüstzeug für die nächsthöhere Alterskategorie mitbringen. Sie sollen komplette Sportler sein, die sowohl technisch/taktisch, athletisch, mental und emotional top entwickelt sind. Du spürst einen Konflikt bezüglich kurz- und langfristiger Entwicklung, den du nicht lösen kannst. Hier sprechen wir von einem Intrasender-Konflikt.

Welche Strategie hilft gegen einen Intrasender-Konflikt?

  • vor Stellenantritt Voraussetzungen klären
  • Rollenkonflikt ansprechen und Dilemma aufzeigen
  • gegenseitige Erwartungen formulieren
  • Erwartungen bzw. Rolle «aushandeln»
  • gemeinsame Philosophie erarbeiten
  • Zwischenschritte für die Auswertung einplanen

Fremdsteuerung vs. Selbstbestimmung

Abbildung: Selbstrollen-Konflikt (oder auch Person-Rollen-Konflikt)
Abbildung: Selbstrollen-Konflikt (oder auch Person-Rollen-Konflikt)

Und zu guter Letzt gibt es einen vierten (möglichen) Konflikt: den Selbstrollen-Konflikt oder auch Person-Rollen-Konflikt genannt. In diesem Fall prallen Erwartungen an deine Trainerrolle (z.B. von der Klubführung) auf deine persönlichen Werte und Bedürfnisse. Deine Klubführung erwartet beispielsweise von dir, dass du deine Athletinnen mit «harter Hand» führst, direktiv agierst und die Entscheidungen immer «von oben nach unten» triffst. Du jedoch stellst die psychologischen Grundbedürfnisse deiner Sportlerinnen ins Zentrum: Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz. Du schaffst es nicht, dich so stark anzupassen, dass du die Erwartungen der Klubführung erfüllen kannst. Es kommt immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten.

Welche Strategie hilft gegen einen Selbstrollen-Konflikt?

  • deine eigenen Werte und Bedürfnisse kennen
  • dir selbst und deinen Werten und Bedürfnissen treu bleiben
  • trotzdem Unterstützungsangebote machen
  • «kleinste gemeinsame Nenner» finden
  • «Verbündete» in der Organisation suchen und nutzen
  • bei Konflikteskalation konsequent bleiben und Arbeitsstelle wechseln

Distanz zu den Rollen finden

Zum Schluss: Rollen werden normalerweise bereits zu Beginn einer Saison oder neuen Arbeitsstelle «übernommen». Es lohnt sich also, hier vor einem neuen Abschnitt genügend Zeit zu investieren. Du musst, um deine persönliche Identität aufrechtzuerhalten, die verschiedenen bestehenden Rollenerwartungen «austarieren». Du brauchst zu diesem Zweck eine Rollendistanz, d.h. die Fähigkeit, den Freiraum zu erkennen, welchen die gesendeten Verhaltensnormen (z.B. von der Klubführung oder dem Team) offenlassen, und diesen nach eigenen Voraussetzungen und Bedürfnissen zu interpretieren. Fremderwartungen und Eigenbedürfnisse können so kompromisshaft integriert werden.

«Every role that you play comes with its own set of challenges»

Fazit: Es ist entscheidend, dass dir deine verschiedenen Rollen als Trainerin und Trainer klar sind und du die damit verbundenen Erwartungen kennst. Agiere, um ein gemeinsames Rollenverständnis zu schaffen. Reagiere, wenn es Klärungsbedarf bezüglich Rollendefinition und Rollenerwartungen gibt. Werde dir bewusst, welche Rollen du in der aktuellen Situation akzeptierst und welche nicht. Leite lösungsorientierte Schritte ein, wenn du Rollen nicht akzeptieren kannst. Überlege dir ausserdem, ob du die entsprechenden Kompetenzen besitzt, um deine Rollen und die damit verbundenen Erwartungen an dich zu erfüllen. Stärke oder erweitere deine Kompetenzen bei Bedarf.

Wie du Gespräche mit Klubverantwortlichen und Umfeld erfolgreich führst, kannst du hier nachlesen. Und warum es oft auch sinnvoll sein kann, mehr zuzuhören als selbst zu sprechen, erfährst du hier.  


Bedenke zum Schluss:

  • Das Rollenverständnis ist Grundlage jeder bewussten Trainingsintervention: Was muss ich tun? Was darf ich tun? Was soll ich tun? Was kann ich tun?
  • Rollenkonflikte sind unumgänglich, können aber unterschiedlich gelöst werden (von Rollenübernahme bis Rollenablehnung)
  • Rollenklarheit ist eine Voraussetzung für erfolgreiche Trainer/-innen Interaktionen
  • Ein dynamisches Mindset hilft dir, die Herausforderungen als Chance zu sehen

Im dritten Teil dieses Blogs erfahrt ihr, welche Auswirkungen die Kultur bzw. die Sportart auf eure Trainerpersönlichkeit hat, warum sich Authentizität und Flexibilität nicht ausschliessen und warum die Erzählung deiner Lebensgeschichte die Entwicklung deiner Trainerpersönlichkeit stärkt.


Coming soon

  • Kultur, Authentizität/Flexibilität und Lebensgeschichte

Quellen und Literatur

  • Abels, H. (2019): Einführung in die Soziologie. Band 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Dahrendorf, R. (2010): Homo sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle. 17. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Eck, C.D. (2005): Rollencoaching als Supervision – Arbeit an und mit Rollen in Organisationen in: Fatzer/Eck, Supervision und Beratung. Köln: Edition Humanistische Psychologie.
  • Harrison R. (1977): Rollenverhandeln: Ein harter Ansatz zur Teamentwicklung. In Burkhard Sievers (Hrsg.): Organisationsentwicklung als Problem. Stuttgart: Klett.
  • Joas, H. (2002): Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung. In: Hurrelmann, K.: Neues Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim: Beltz.
  • Jones, R. L., Bailey, J. & Thompson, A. (2013). Ambiguity, noticing and orchestration. Further thoughts on managing the complex coaching context. I: P. Potrac, W. Gilbert & J. Edison (Eds.), Routledge handbook of sports coaching. (pp. 271-282). London: Routledge.
  • Lippmann, E. (2013): Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. Heidelberg: Springer.
  • Miebach, B. (2014): Soziologische Handlungstheorie. Wiesbaden: Springer.
  • Rauen, C. (2005): Handbuch Coaching. Göttingen: Hogrefe.
  • Ronglan, L. T. (2011). Social interaction in coaching. I: R. L. Jones, P. Potrac, C. Cushion & L. T. Ronglan (Eds.), The sociology of sports coaching. (s. 151-165). London: Routledge.
  • Schäfers, B. (2016): Einführung in die Soziologie. Heidelberg: Springer.
  • Schreyögg, A. (2012): Coaching. Frankfurt a. M.: Campus.