Du sprichst zu viel!
Gespräche sind ein wesentlicher Teil der Trainerarbeit. Das meinte auch Raphael Wicky, Fussballtrainer bei YB, letzten Sommer in der Limmattaler Zeitung. Sprechen ist das eine. Genauso wichtig sind zuhören und schweigen. Was braucht es also für effiziente und effektive Gespräche? Wie stellst du sicher, dass deine Athletinnen und Athleten verstehen, was du sagst? Weisst du, wie sich deine Gesprächspartner fühlen, wenn du mit ihnen sprichst? Reflektierst du, wie hoch dein Gesprächsanteil ist? Ich wette, du sprichst viel mehr, als du denkst. Von der Vorbereitung bis zur Durchführung von Gesprächen gibt es zahlreiche Hilfestellungen. Darum geht es in diesem Blog.
Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)
Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.
Autor: Andreas Schwaller, Verantwortlicher Fachbereich Leadership, Trainerbildung Schweiz
Seit 10 Monaten bin ich Trainer des U21-Curlingteams Grasshoppers. Ich habe die spannende und herausfordernde Aufgabe, fünf junge Frauen im Alter von 20 Jahren auf die U21 WM vorzubereiten und mit ihnen langfristig den Anschluss an die Weltspitze zu schaffen. Wahrscheinlich kann ich dank meinen Erfahrungen in dieser Sportart den Athletinnen einiges an Curling-Knowhow vermitteln.
Doch zu Beginn der Zusammenarbeit geht es mir darum, Vertrauen zu schaffen und die Athletinnen als Menschen zu verstehen. Schliesslich wollen Menschen verstanden werden, bevor sie verstehen. Mein Fokus liegt beim Fragenstellen, Zuhören, Beobachten, Schweigen, beim Teilen gegenseitiger Erwartungen teilen und im Führen vieler Gesprächen.
«Das Verpassen des richtigen Schweige-Augenblicks gehört zu den ärgerlichsten Gesprächsfehlern»
– Franz Pöggeler, Ewachsenenbildner
Orientierung für die Gesprächsführung
Zur Orientierung für die Gesprächsführung hilft mir das E.U.L.E.–Prinzip. «E» steht für Empathie und die Gedanken sowie Gefühle des Gesprächspartners. Ohne mich im Vorfeld mit dem Gesprächspartner zu befassen, werde ich kaum die notwendige Empathie aufbringen. Und erst an zweiter Stelle folgt «U», wie Um was geht es? wie Ziele, Fakten und Ablauf des Gesprächs. «L» wie Lösungen werden angestrebt und dabei hilft es, einen gemeinsamen Nenner (zum Beispiel die Leistungsentwicklung) zu finden und verschiedene Möglichkeiten auszuloten. Zwingend sind Verbindlichkeiten und Verantwortlichkeiten, dafür steht das zweite «E» wie Entwicklung und beinhaltet das weitere Vorgehen im Sinne von wer macht was bis wann.
«Menschen wollen verstanden werden, bevor sie verstehen»
— Andreas Schwaller
In der Vorbereitung auf mein erstes Gespräch mit dem Team habe ich mir unter anderem folgende Fragen gestellt:
Empathie | Was beschäftigt die Athletinnen? Wie wird es sich anfühlen, mit mir ein Gespräch zu führen? Was wissen die Athletinnen über mich? |
Um was geht es? | Was wollen wir erreichen? Welche gegenseitigen Erwartungen haben wir? Wie führe ich das Gespräch? |
Lösungen | Wie arbeiten wir zusammen? Was ist uns wichtig? Wo fangen wir an? |
Entwicklung | Wie geht es weiter? Wer macht was bis wann? Wer meldet sich wann bei wem? |
«Sage nur, was wahr und wichtig ist und sage dies klar und deutlich»
— Paul Grice (Kooperationsprinzip – die Grundregeln des Verstehens)
Wer spricht wie viel?
Mit Gesprächen meine ich nicht ein 30 Sekunden-Time-Out oder eine kurze taktische Anweisung, sondern vielmehr Gespräche im Rahmen von Trainings und Wettkämpfen, auf Reisen, im Trainingslager, bei einer Standortbestimmung oder einfach Small Talk. Schaffst du es, weniger als dein Gesprächspartner zu sprechen?
Das ist übrigens je nach Situation und je nach Gegenüber nicht einfach. Weshalb wohl hat uns die Natur mit zwei Ohren und nur einem Mund ausgestattet? Ich zitiere an dieser Stelle gerne meinen Arbeitskollegen, Heinz Müller: Mehr Fragen als Sagen.
Man braucht zwei Jahre, um sprechen zu lernen und fünfzig Jahre, um schweigen zu lernen.
— Ernest Hemingway
Frage | Anstoss |
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Schenkst du der Gesprächspartnerin/dem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit? | Keine abschweifenden Gedanken, keinen Blick auf das Handy, die Uhr usw. |
Unterbrichst du deine Gesprächspartner/innen? | Geduld aufbringen. Gut zuhören, denn ohne Zuhören, kein Gespräch. |
Stellst du offene Fragen? | Wer fragt, der führt. |
Wie bewusst machst du Sprechpausen? | Zähle leise von 1 bis 10. |
Bewertest du die Aussagen? | Versuch es mal ohne, es gibt Entlastung. |
Wie stellst du sicher, dass dein Gegenüber dich verstanden hast? | Paraphrasieren hilft! |
Wie oft beginnen deine Aussagen mit «aber, eigentlich, grundsätzlich»? | Bitte vermeiden! |
Fällst du ins Wort und beendest die Sätze der sprechenden Person? | Das geht gar nicht! |
Stell dir vor beide Parteien hören nicht zu? | Quasi ein zweifacher Monolog … |
«Man soll schweigen oder Dinge sagen, die noch besser sind als schweigen»
— Pythagoras (du erinnerst dich an a2+b2=c2?)
F.B.A. – drei mögliche Gesprächsverhalten
Das Helfersyndrom liegt in der DNA von vielen Trainerinnen und Trainer. So kommt es nicht selten vor, dass ich immer wieder gut gemeinte Ratschläge erteile ohne zu prüfen, ob diese gewünscht oder notwendig sind und auch verstanden werden. Stell dir vor, du willst mit deinem Team eine neue defensive taktische Variante einüben. Nachdem du den Sinn erklärt hast (siehe Führen in Veränderungen), erfolgen meistens (zu lange) Instruktionen gefolgt von unzähligen Übungen.
Nachdem ich dem Curlingteam meine Überlegungen aufgezeigt habe, beginne ich das Gespräch durch
- … «Fragen stellen»: Fragen wie «In welchen Situationen können wir diese defensive Variante einsetzen?» oder «Wie können wir konkret vorgehen?». Meistens erhalte ich gute und überraschende Antworten und die Antworten sind ein hervorragender Gradmesser für den Entwicklungsstand der Athletinnen. Falls ich merke, dass die Athletinnen unsicher sind, nutze ich das Gesprächsverhalten.
- … «Beratend unterstützen», in dem ich Optionen anbiete (in Form von geschlossenen Fragen). «Könnte es in diesen Situationen hilfreich sein?» Oder «Wäre es möglich, dass wir so vorgehen?» Falls auch dieses Gesprächsverhalten die Wirkung verfehlt, werde ich
- … «Anweisungen erteilen». Dann brauchen die Athletinnen mein Wissen im Sinne von «Wir setzen diese Variante ein, sofern…!» Oder «Als erstes machen wir nun das…!»
Ich will, dass die Athletinnen möglichst oft selber entscheiden Das reduziert ihre Abhängigkeit von meinen Aussagen und sie entwickeln sich selbstständig – «sometimes you win – sometimes you learn». Dabei stelle ich Fragen, unterstütze beratend und entscheidend ist, dass ich Zeit und Geduld aufbringe. Anweisungen erteilen ist die Abkürzung, jedoch kurzfristig.
Keep it simple
Selbst wenn das Team von den taktischen Vorgaben überzeugt ist, gelingt es den Athletinnen unter Stress nicht immer, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Im Curlingsport streben wir danach, das offensive Spiel zu beherrschen. Diese taktische Ausrichtung birgt bekanntlich Risiken und bei einem Vorsprung ist durchaus Verteidigung angesagt.
Nachdem wir mehrmals trotz Vorsprung für mich zu hohe Risiken eingegangen sind, neigte sich meine Geduld mit Fragen und Beraten dem Ende zu und ich habe nach dem Motto «keep it simple» eine klare Anweisung gemacht. Die Anweisung lautete in einem Wort «Fauda».
Fauda?!
Fauda ist arabisch und heisst Chaos. Ich habe sofort eine hohe Aufmerksamkeit gespürt, weil das Wort Fauda für die Athletinnen kein bekannter Begriff war (oder weil es sich um eine gleichnamige Netflix-Serie handelt?). Egal, sie haben sich darauf geeinigt, dass sie ab sofort das Codewort Fauda nutzen wollen, wenn sie im Chaos sind und es Zeit für die neue taktische Variante ist.
Und siehe da, Fauda wirkt (fast immer). Wir haben ein gemeinsames taktisches Verständnis mit einem simplen Wort entwickelt. Noch besser wäre es, wenn ein solches Wort von den Athletinnen kommt. Wie das geht, zeigte uns Harry Mara an der Magglinger Trainertagung 2021.
(Schwierige) Gespräche vorbereiten
Als Trainerin und Trainer wirst du auch schwierige Gespräche führen und schlechte Nachrichten überbringen müssen, wie zum Beispiel bei Trennungs- und Selektionsgesprächen. In diesem Falle empfehle ich dir eine sehr gezielte Vorbereitung. Dazu verhilft dir die folgende grafische Übersicht zur Gesprächsvorbereitung:
Viele dieser Punkte sind selbstredend. Sympathien sind menschlich. Stell dir vor, du musst zwei Athleten informieren, dass sie nicht selektioniert werden. Eine Person ist dir sympathisch und die andere Person nicht wirklich. Bei welcher Person fällt dir die Kommunikation einfacher? Es ist eine Kunst und Pflicht Sympathien auszublenden. Der erste Schritt dazu ist, sich der Sympathien bewusst zu werden.
Ich empfehle, dass du dich vor dem Gespräch mit diversen Strategien und Lösungen auseinandersetzt, jedoch Vorsicht bei Interpretationen walten zu lassen. Diese können einerseits behilflich sein, andererseits in die Irre führen. Interpretationen sind rein subjektive Annahmen. Die Reaktionen auf eine Nicht-Selektion fallen unterschiedlich aus, von «das habe ich erwartet» bis zu «totalem Unverständnis».
Wenn immer möglich, lass den Gesprächspartnern/innen eine Wahl. Bei einer Nicht-Selektion gibt es logischerweise keinen anderen Weg betreffend Selektion, jedoch bezüglich Kommunikation. Durch die Trainer/innen, durch die Athletinnen/en oder gemeinsam? Wenn du Spielraum hast, lass die Gesprächspartner und -partnerinnen entscheiden. Wer eine Wahl hat, fühlt sich autonom und dies entspricht einem menschlichen Grundbedürfnis.
Und zum Schluss empfehle ich dir «Put the fish on the table». Tote Fische beginnen bekanntlich zu stinken, deshalb bring das Thema rasch auf den Punkt. Nach drei Sätzen muss dem Gesprächspartner klar sein um was es geht. Wenn es schlechte Nachrichten sind, dann «bad news first».
«Solange man selbst redet, erfährt man nichts».
— Marie Ebner von Eschenbach, Schriftstellerin (1830-1916)
Mit dem Curlingteam stehen wir vor entscheidenden Wettkämpfen mit der U21 Curling WM. Meine Hauptaufgaben werden sein, den Athletinnen Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu vermitteln, sie dazu zu führen, die taktischen Grundsätze umzusetzen. Und sie davon überzeugen, ihre Teamwerte zu leben und sie zum Erfolg begleiten. Ich werde viele Gespräche führen und nicht zu viel sprechen.
In Kürze zum Umsetzen
- Orientiere dich bei Gesprächen an der E.U.L.E.,
- nutze die Gesprächsverhalten Fragen, Beraten und Anweisen (F.B.A.),
- und achte darauf, wie hoch dein Gesprächsanteil ist.
Oder höre einfach mal nur zu und schweige, ohne zu bewerten, ohne Ratschläge zu erteilen. Ich wette, du sprichst weniger!
Literatur und Quellen
- Krogerus, M.,Tschäppeler, R. (2021) Reden: Gute Ideen für bessere Kommunikation. Zürich: Kein & Aber.
- Krogerus, M., Tschäppeler, R. (2022): Zusammenarbeiten: ein Wegweiser, um gemeinsam Grosses zu erreichen. Zürich: Kein & Aber
- Steiger, R. (2021) Menschenorientierte Führung: 22 Thesen für den Führungsalltag. Frauenfeld: Stuttgart: Wien: Verlag Huber
- Sutton, R.I. (2010): Good boss, bad boss : how to be the best … and learn from the worst. London : Piatkus
- Kohlrieser, G. (2013): Fördern und Fordern – Effektive Führung mit sicherer Basis. Weinheim: Wiley-Vch Verlag GmbH
- Blog Trainerbildung Schweiz: Vertrauen als Basis erfolgreicher Führung. Magglingen: mobilesport.ch
- Blog Trainerbildung Schweiz: Führen in Veränderungen. Magglingen: mobilesport.ch