Sportmedizin

Vom Umgang mit Spezialsituationen im Leistungssport

Im Leistungssport sind Trainerinnen und Trainer häufig mit besonderen Situationen konfrontiert. Im Wettkampf, in der Wettkampfvorbereitung oder generell im Training sind sie oft das Zünglein an der Waage zum Erreichen der gesteckten Ziele. Dieser Beitrag beschreibt medizinische Spezialsituationen, bei denen die Trainerinnen und Trainer einen entscheidenden Einfluss auf die Leistung nehmen können: denn mit Wissen, dank Erfahrung und der Beachtung einiger Grundsätze können Herausforderungen besser gemeistert – oder sogar zum Vorteil genutzt werden.

Sportmedizin: Vom Umgang mit Spezialsituationen im Leistungssport

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) publiziert an dieser Stelle regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Text: Philipp Wäffler, Verantwortlicher Fachbereich Sportmedizin, Trainerbildung Schweiz



Im Leistungs- und Spitzensport sind folgende Faktoren und Spezialsituation oft von grosser Bedeutung und haben einen wesentlichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Resultate:

  • Trainings- und Wettkampfort – Infrastruktur, Umgebung, Kultur
  • Reise – Dauer, Transportmittel, Zeitzonen
  • Klima – Kälte, Hitze, Luftfeuchtigkeit
  • Höhe – Höhenlage ü.M.

Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Sie stellt eine Auswahl von Faktoren dar, die aus sportmedizinischer und -wissenschaftlicher Sicht oft eine entscheidende Rolle spielen. Der Planung und dem unmittelbaren Umgang mit diesen Herausforderungen kommt neben der sportspezifisch optimalen Steuerung der Trainings- und Wettkampfvorbereitungen eine Schlüsselrolle zu.

Im Folgenden zeige ich mögliche Einflüsse auf, sowie die Bedeutung für den Leistungssport. Ebenso, welche Massnahmen die Trainerinnen und Trainer ergreifen können, um erfolgreicher damit umzugehen, und so die Athletinnen und Athleten effektiver zu unterstützen, um die gewünschten Leistungen zu erbringen.


Trainings-/ Wettkampfort

Findet ein Trainingslager oder ein Wettkampf nicht in der gewohnten Umgebung statt – was im Leistungs- und Spitzensport häufig der Fall ist, vor allem bei internationalen Einsätzen – sollte man sich mit dem Ort und dem Umfeld auseinandersetzen. Damit meine ich, sich gezielt mit möglichen Einflussfaktoren auf die Leistung zu beschäftigen.

Natürlich haben weiche Faktoren wie (andere) Kultur, Affinität und Interesse, persönliche Neigungen etc. einen wesentlichen Einfluss. Dazu gilt es auch harte Faktoren zu beachten, wie z.B. Zeitzonen, Klima, Höhenlage, Luft- und Wasserqualität, Lärm, Infrastruktur (allgemein, sportlich, medizinisch) sowie die medizinische Versorgung und Ernährung.

Die meisten Bedingungen lassen sich kaum beeinflussen, geschweige denn ändern, aber man kann sich bestmöglich darauf vorbereiten. Wie bereite ich also meine Athletinnen und Athleten oder ein ganzes Team auf besondere Situationen vor und was tun wir vor Ort?

Die Ernährung spielt im Leistungssport und damit auch in besonderen Situationen immer eine wichtige Rolle. Allein schon die Verfügbarkeit und die Qualität gewohnter Nahrungsmittel kann eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten erfordern. Ein gestörter Essrhythmus durch Zeitverschiebung auf Reisen, Stress und ungewohnte Umgebungen, ein erhöhter Energiebedarf und/oder ein erhöhter Flüssigkeitsverlust erhöhen das Risiko von Magen-Darm-Beschwerden. Und führen letztlich zu Leistungseinbussen.

Auf all diese Herausforderungen kann man sich aber vorbereiten, oft schon mit einfachen, praktischen Massnahmen wie dem gezielten Einkauf vor Ort und der Mitnahme einiger geeigneter, gut haltbarer Produkte. Wer vor Ort bewusst darauf achtet, was sie oder er isst und trinkt, vermeidet in der Regel Magen-Darm-Beschwerden. Sollten diese dennoch auftreten, hilft eine Reiseapotheke, die von einer Fachperson zusammengestellt oder überprüft wurde.

Die folgenden Abschnitte behandeln drei häufige Spezialsituationen, die einzeln oder in Kombination auftreten können. Sie alle spielen bei der Leistungserbringung eine zentrale Rolle und es gibt inzwischen wissenschaftliche Erkenntnisse, die nicht zuletzt im Sport seit Jahrzehnten gezielt erforscht werden. Bestimmte Grundsätze sollten berücksichtigt und integriert werden, um die optimale Leistung abrufen und Leistungseinbussen verhindern zu können. Dieses Wissen und Möglichkeiten sollten von den Trainerinnen und Trainern genutzt werden.


Reisen

Hat man sich erst einmal mit dem Trainings- und Wettkampfort auseinandergesetzt, lohnt es sich die Reise genau zu planen. Die Dauer und das Transportmittel sowie eine allfällige Zeitverschiebung sind wichtige Faktoren. Sie haben einen wesentlichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Athletinnen und Athleten.

Trainerinnen und Trainer können mit einfachen Strategien vor, während und nach der Reise günstigere Voraussetzungen schaffen. Ein Beispiel wäre vor der Reise bereits den Belastungs- und Erholungsrhythmus an die Zeitzone des Zielortes anpassen.

Darüber hinaus gilt es, vorbeugende Reisevorkehrungen und -massnahmen zu prüfen und bestenfalls zu treffen. Dazu gehören generell die Infektionsprophylaxe, Hygienemassnahmen bis hin zu einer allfälligen Impfung. Auch eine geeignete Reiseapotheke für Sportlerinnen und Sportler – alles in Absprache mit einem Arzt – lohnt sich.

Der Ernährung und ausreichenden Flüssigkeitszufuhr kommen bereits vor, während und nach der Reise eine grosse Bedeutung zu. Die innere Uhr, der Reisestress und die ungewohnte Ernährung können die optimale Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.


Klima – Kälte und Hitze

Der menschliche Körper ist in der Lage, durch Thermoregulation eine konstante Körpertemperatur von ca. 37°C aufrechtzuerhalten. Um diese Körpertemperatur – und damit alle Funktionen – aufrecht zu erhalten, findet ein ständiger Austausch zwischen Körper und Umgebung statt und der Körper reagiert entsprechend auf Kälte oder Wärme. Niedrige (Kälte) oder hohe (Hitze) Temperaturen beanspruchen den Körper entsprechend stärker. Kommt dann noch sportliche Aktivität oder gar extreme körperliche Leistung hinzu, führt dies zu thermischem Stress. Dieser tritt im Sport oft in Verbindung mit Hitze auf.

Thermoregulation des menschlichen Körpers

Thermoregulation des menschlichen Körpers
Bei Kälte reagiert der Körper mit Verringerung der Durchblutung und Aktivierung der Muskeln, bei Hitze durch Steigerung der Durchblutung und Schwitzen. Quelle: Steiner.T, adaptiert von Kenney et al, 2015. Physiology of sport and exercise. Human kinetics.

Die Temperatur allein sagt aber noch zu wenig aus. Entscheidend ist, wie die Temperatur empfunden wird und welchen Stress sie im Körper verursacht. Deshalb wird in solchen Situationen die «Wet-Bulb Globe Temperature» (WBGT) verwendet. Diese berücksichtigt neben der Lufttemperatur auch die Luftfeuchtigkeit, den Wind und die Strahlungswärme. Im Leistungssport ist dies entscheidend, da ein erhöhter WBGT-Wert zwar bei Sprintwettkämpfen positiv sein kann, sich aber bei Ausdauerleistungen und oft auch bei der Regeneration stark negativ auswirkt.

Ein typisches Beispiel ist der Einfluss von Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit, der bei internationalen Meisterschaften oder Olympischen Spielen (zuletzt Tokyo 2020) in feucht-heissem Klima immer wieder zum Thema wird.

Einfluss von Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit, Tabelle
Quelle: Steiner, T. 2023. Magglingen EHSM, adaptiert von McArdle et al, Exercise Physiology (8th edition), 2015

Kälte-Adaptation: Die wichtigsten Massnahmen bei Kälte sind der Schutz vor Kälte durch geeignete Kleidung und die Sicherstellung des erhöhten Energiebedarfs. Die Kälte-Empfindung des Körpers ist noch stärker als die gemessene Lufttemperatur, wenn Wind hinzukommt (bekannt als WCT, Windchill Temperatur = Wärmeverlustrate). Kälte und Höhenlage gehen meist mit trockener Luft einher, was zu einem höheren Flüssigkeitsbedarf führt. Auch hier: genügend trinken. 

Hitze-Adaptation: Bei Hitze ist die Hydration (ggf. Salzverlust ausgleichen) von entscheidender Bedeutung. Neben einer der Situation angepassten Flüssigkeitszufuhr können wirksame Kühlstrategien (vor, während und nach der sportlichen Leistung) hilfreich sein. Athletinnen und Athleten sollten durch eine entsprechende Akklimatisation auf den Einsatz in der Hitze vorbereitet werden. Wird eine solche Akklimatisation im Vorfeld richtig geplant und durchgeführt, sind bereits ab der zweiten Woche deutlich weniger Leistungseinbussen zu verzeichnen.

Verlauf der Hitze Akklimatisation.
Verlauf der Hitze Akklimatisation. Diese verläuft relativ schnell und die Leistungsfähigkeit nimmt rasch zu (vgl. hellgrüne Linie Exercise Capacity). Quelle: Periard et al. 2015. Scand J Med Sci Sports

Weiterführende Informationen zum Thema Hitze : Beat the heat – Athlete365 (olympics.com)


Höhe

Training und Wettkämpfe in Höhenlagen ab ca. 1500 m.ü.M. stellen Athletinnen und Athleten vor unterschiedliche Herausforderungen.

Training und Wettkämpfe in Höhenlagen
Aufgrund des verminderten Luftdrucks und reduzierter Luftdichte in zunehmender Höhe sind die Einflüsse deutlich spürbar. Der Sauerstoffmangel vermindert die Leistungsfähigkeit in vielen Sportarten deutlich, während der geringere Luftwiderstand nur für einige Sportarten von Bedeutung ist. Quelle: Wehrlin, J. 2023. Magglingen SFISM

In der Höhe wird der Körper generell stärker beansprucht und erholt sich zunächst weniger gut, was sich wiederum auf die Regeneration auswirkt. Der Körper passt sich auf vielfältige Weise an die besondere Situation in der Höhe an und reagiert auf den Sauerstoffmangel u.a. mit einer vermehrten Produktion von roten Blutkörperchen. Diese Anpassungsfähigkeit ist für den Leistungssport von entscheidender Bedeutung.  Durch Akklimatisation kann eine Anpassung und damit eine Vorbereitung auf Wettkämpfe in Höhenlage erreicht werden. Ein gezieltes Höhentraining kann zu einer Leistungssteigerung bei Wettkämpfen in tieferen Lagen führen.

Zur Vorbereitung auf Wettkämpfe in Höhenlage werden heute meist drei Varianten angewendet:

  1. Direkte Anreise für einen einmaligen Wettkampf,
  2. mehrwöchige Akklimatisation und Training in der Höhe (live high, train high LHTH)
  3. mehrwöchige Akklimatisation in der Höhe und Training in tieferen Lagen (live high, train low)

Häufig werden zur Simulation der Höhenlage auch Höhenhäuser oder -zelte verwendet und nicht mehr unbedingt in höher gelegenen Orten gewohnt.


Merkblätter zu Themen in Spezialsituationen

Swiss Olympic greift regelmässig und gezielt wichtige Themen auf und erstellt dazu praktische Infografiken. Es werden laufend neue erstellt. Es lohnt sich, diese speziell auf den Leistungs- und Spitzensport zugeschnittene Quellen zu konsultieren. Passend zu diesem Blog:


Für den Wettkampfeinsatz in tieferen Lagen (< 1000m) ist zu beachten, dass sich der Körper re-akklimatisiert. Daher kann es anfangs noch zu starken individuellen Schwankungen kommen, nach rund zwei Wochen folgt eine stabilere Phase. Ein individuell abgestimmtes Timing ist deshalb sehr wichtig.

Auch wenn die Akklimatisation individuell und situativ unterschiedlich verläuft, gibt es dank der sportwissenschaftlichen Forschung allgemein gültige Grundsätze sowie ausgereifte Konzepte für Akklimatisation und Höhentraining, die man unbedingt beachten sollte.

Bei längeren Aufenthalten ist das gesamte Belastungs- und Erholungsmanagement zu überarbeiten. Ebenso sind besondere Ernährungsbedürfnisse und medizinische Checks (z.B. Eisenwerte im Blut etc.) sowie eventuelle Supplemente zu prüfen.

Wichtig für Trainerinnen und Trainer: Der Akklimatisationsprozess ist komplex, dauert mehrere Wochen und die Athletinnen und Athleten reagieren sehr unterschiedlich.


Praktische Tipps im Überblick

Erfolgreiche Trainerinnen und Trainer zeichnen sich oft gerade dadurch aus, dass mit den verschiedenen speziellen Situationen auseinandersetzen und entsprechende Massnahmen ergreifen.

Zusammenfassend helfen folgende Empfehlungen, um mit den verschiedenen Spezialsituationen besser umzugehen und unangenehme Überraschungen zu reduzieren:

«good practice»

Vorhandenes Wissen und Erfahrungen nutzen – statt eigener Fehler machen:

  • Evidenzbasierte Informationen und Tipps von Fachleuten einholen
  • sich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen
  • Auseinandersetzung mit dem Thema, neues Wissen erwerben, Erfahrungen nutzen
  • Erkenntnisse auf die eigene Sportart transferieren

«planning and flexible mindset» –

Planen, was planbar ist, aber gleichzeitig mit der nötigen Gelassenheit auf Unvorhergesehenes vorbereitet sein – statt Überraschungen zu erleben:

  • frühzeitig erkennen und in die Planung und Vorbereitung einbeziehen, 
  • die Athletinnen und Athleten für die Herausforderungen sensibilisieren und damit ihre Eigenverantwortung für besondere Situationen stärken
  • Individualität der Athletinnen und Athleten wahrnehmen und nach Möglichkeit einbeziehen

«utilise local»

Lokale Gegebenheiten kennen und nutzen – statt gegen sie anzukämpfen:

  • sich so gut wie möglich mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen und diese in die Planung und das Handeln vor Ort einbeziehen
  • gemeinsam mögliche Vorkehrungen treffen und umsetzen

Wenn man ein paar Grundsätze beachtet, macht man schon vieles richtig und trägt dazu bei, dass die Athletinnen und Athleten die Leistung bringen können, die sie sich wünschen, und das sind wir ihnen als Trainerin und Trainer schuldig.


Quellen und Literatur