Sportpsychologie - Sportcoaching – Empowerment

Athleten/innen verstehen, optimal fördern und erfolgreich coachen

Die Beziehung zwischen Trainern/innen und Athleten/innen hat einen wesentlichen Einfluss auf dessen/deren Entwicklung und Leistungsfähigkeit. Verschiedene Aussagen und Ergebnisse zeigen: Den Spitzen- und Nachwuchssportlerinnen sind nicht nur Resultate an den Wettkämpfen wichtig. Sie wollen vor allem auch als Menschen, nicht als Maschinen oder Nummern wahrgenommen werden. Es geht um viel mehr als um Medaillen, es geht um die ganzheitliche Förderung und gesunde Entwicklung junger Menschen.

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Foto: Rückenansich - Athletin balanciert zwei verschieden grosse Bälle mit seitlich ausgestreckten Armen.

Autorin: Monika Kurath, Verantwortliche Diplomtrainerlehrgang und Fachbereich Sportpsychologie, Trainerbildung Schweiz

Trainer/innen haben einen grossen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Athleten/innen. Doch wie muss eine Trainer/innen-Athleten/innen-Beziehung sein, damit der Einfluss auf die sportliche wie auch persönliche Entwicklung förderlich ist? Welche spezifischen Bedürfnisse haben insbesondere weibliche Leistungs- und Spitzensportlerinnen?

Wir haben fünf Elite-Athletinnen aus fünf verschiedenen Sportarten (Ski Freestyle, Badminton, Fussball, Ringen/Judo, Volleyball) dazu befragt, welche Erfahrungen sie während ihrer Karriere mit ihren Trainerinnen und Trainern gemacht haben. Alle fünf Athletinnen haben Wettkämpfe auf höchster internationaler Ebene (EM, WM, Olympische Spiele) bestritten bzw. sind teilweise noch aktiv im Spitzensport. Aus den Gesprächen ging hervor, dass sie im Laufe ihrer Karriere mit vielen kompetenten guten, unterstützenden Trainern/innen zusammenarbeiten durften.

Die folgenden Aussagen weisen aber auch darauf hin, dass der Schuh teilweise stark gedrückt hat:

Kritische Aussagen von Top-Athletinnen

 «Ich hatte oft mit Trainern zu tun, die entweder über eine hohe Fach- oder eine hohe Sozialkompetenz verfügten. Aber leider nur sehr selten über eine Kombination davon.». 

«Der eine Trainer hat auf meinen Fehlern und Schwächen so lange rumgehackt, bis ich sogar den Glauben an meine Stärken verloren habe. Die darauffolgende Trainerin hat den Fokus auf meine Stärken gelegt und mit der Zeit haben sich sogar meine Schwächen verbessert. Vor allem ist dadurch auch mein Selbstvertrauen wieder gestiegen. Es ist krass, wieviel Einfluss das Verhalten der Trainer auf das Selbstvertrauen hat».

«Ich hätte mir von meinem Trainer gewünscht, dass er mein Empfinden akzeptieren und annehmen kann, dass er mich dort abholen und in der Lösungsfindung unterstützen kann, wo ich mich körperlich, mental und emotional gerade befinde. Auch, wenn er es nicht verstehen oder nachvollziehen kann».

«Trainer, nimm mich als Person wahr und mach mich nicht zu etwas, was ich nicht sein will».

«Ich wurde einmal in einem Länderspiel ausgewechselt, weil meine Leistung ungenügend war. Ich fühlte mich wirklich schlecht an diesem Tag. Eigentlich wusste ich, dass ich nicht voll leistungsfähig bin, wenn ich meine Tage habe, aber ich habe mich weder vor noch nach dem Spiel getraut, dies meinem Trainer zu sagen».

Athletin spricht mit Trainerin.

«Rückblickend würde ich meine Karriere als Athletin als EINSAM bezeichnen. Oft hatte ich das Gefühl, als einzige Frau im Team ein lästiges Anhängsel zu sein. Es gab in meiner ganzen Karriere leider nur einen Coach, der mich individuell betreute, förderte und coachte».

«Ich möchte von meinem Trainer nicht nur als Athletin, sondern auch als Mensch wahr- und ernstgenommen werden, nicht bloss eine Nummer sein. Wir sind Menschen, keine Maschinen».

«Am liebsten wäre ich ohne diesen Trainer an den Wettkampf gegangen. Später hatte ich einen Trainer, der mehr an mich geglaubt hat, als ich selbst es getan habe. Mit ihm habe ich einen Riesensprung vorwärts gemacht und war plötzlich zu unglaublichen Leistungen fähig».

«Gegen Ende meiner Karriere vermisste ich immer mehr die Menschlichkeit im Leistungssport. Das hat für mich nicht mehr gestimmt und war mitunter ein Grund, weshalb ich beschlossen habe, meinen Rücktritt zu geben».

Diese Aussagen weisen darauf hin, dass die Wahrnehmung und Unterstützung als Person, als Mensch zu oft auf der Strecke bleibt obwohl es ein wichtiges Bedürfnis der Sportlerinnen ist. Für eine optimale Leistungsentwicklung und das Ausschöpfen des vollen Potentials wäre das Eingehen auf dieses Bedürfnis jedoch ein entscheidender Punkt.

Auch bei jungen Athletinnen sind bereits diverse Themen präsent, die sie beschäftigen, die den Fokus ablenken und Energie rauben, die potentiell leistungshemmend sein können.

Die Themen der Nachwuchs-Athletinnen

Die folgenden Ergebnisse stammen aus einer Umfrage, die im Rahmen des von Swiss Olympic organisierten Trainingscamps 3T (Tutti Talenti a Tenero) durchgeführt wurde. 136 Athletinnen aus 22 verschiedenen Sportarten haben daran teilgenommen. Unter anderem haben sich die Athletinnen dazu geäussert, welche Themen sie aktuell am meisten beschäftigen. Die Umfrage zeigt folgendes Bild:

Diagramm: Resultate Umfrage 3T
Bei der Umfrage unter den Nachwuchsathletinnen waren Mehrfachnennungen möglich.

Werden die Themen Kommunikation zu Trainer/in und Vertrauensverhältnis zu Trainer/in zusammengezählt, ergeben sich bemerkenswerte 68 Nennungen. Das bedeutet, dass diese beiden Themen die Hälfte (!) der Athletinnen beschäftigen, welche an der Umfrage teilgenommen haben. Demzufolge ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen Themen wie Menstruation, Gefühle, Gewicht wohl kaum angesprochen werden obwohl sie die Athletinnen stark beschäftigen. Das kann fatale Folgen für die weitere Entwicklung haben.

Trainer/innen sind gefordert

Viele Trainer/innen machen in der Zusammenarbeit mit ihren Athletinnen schon sehr vieles gut. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass gerade auf der Beziehungsebene noch viel optimiert werden kann. Um Trainer/innen in diesem Aspekt zu unterstützen, hat die Trainerbildung Schweiz Handlungsempfehlungen erarbeitet (siehe unten). Sie sollen den Betreuungs-Staff dabei unterstützen, die Athletinnen (und je nach Thema durchaus auch Athleten) noch besser zu verstehen, um sie optimal fördern und erfolgreich coachen zu können.

Foto: Die Ringerin Malik Sashi (IND) an den Olympischen Spielen in Rio 2016. Quelle: The Bridge

Künftig sollen möglichst alle Athletinnen von einer guten Beziehung mit ihren Trainern/innen erzählen können, wenn sie auf ihre sportliche Karriere zurückblicken. Einer Beziehung, in welcher ihre individuellen Bedürfnisse abgedeckt wurden, sie sich als Mensch und Athletin entwickeln konnten und sportlich gefordert und gefördert wurden. Schön wäre, wenn zukünftig möglichst alle Athletinnen über ihre Karriere und die Zusammenarbeit mit ihren Trainern/innen Aussagen, wie die folgende machen könnten:

«Mein damaliger Regionalauswahltrainer hat sich nicht bloss für mich als Athletin, sondern auch für mich als Person und mein Umfeld interessiert. Das habe ich sehr geschätzt. Ich habe bis heute Kontakt mit ihm».

Die Pforte, dies zu ermöglichen ist der Trainer, die Trainerin. Der Schlüssel dazu sind die folgenden Handlungsempfehlungen. Liebe Trainerinnen und Trainer, stellt euch dieser Herausforderung und geht auch diese Themen aktiv an in der Arbeit mit euren Athletinnen (und Athleten). Sie werden euch lebenslänglich dankbar sein dafür.


Empowerment – Handlungsempfehlungen

1. Was zählt mehr? Die Medaille oder der Mensch?

Ziele / Werte / Haltung

Holdern, Suter mit Trophäen.
Foto: Jérôme Krieg, Swiss Olympic.

Erfolg um jeden Preis? Auf keinen Fall. Das Wohlbefinden und die mentale Gesundheit deiner Athletinnen haben höchste Priorität. Gewährleiste und fördere die mentale Gesundheit deiner Athletinnen, indem du ein Klima von Respekt, Wertschätzung, Zugehörigkeit, gegenseitigem Vertrauen und Klarheit bezüglich Erwartungen schaffst und damit gleichzeitig auch das Fundament für Höchstleistungen baust. Ganz im Sinne von: Caring about athletes AND winning medals.

Reflexionsfrage: Stell dir deine Athletin in 10 Jahren vor: Was soll sie über dich als ihre Trainerin, ihren Trainer erzählen?


2. Coach, schau hinter das Poker- (Wettkampf-)Face deiner Athleten/innen!

Ganzheitliche Entwicklung

Symbolbild Stärke-Schwäche

Gib deinen Athletinnen nicht das Gefühl, jedes Training oder jede Übung sei ein Test mit direkten oder indirekten Konsequenzen. Stelle vielmehr die Entwicklung des Menschen und nicht bloss der Athletin ins Zentrum. Die Athletinnen sollen sich getrauen, Schwächen zu zeigen und dir ihre Gedanken und Gefühle anzuvertrauen. Du als Coach unterstützt sie dabei, ihre Stärken weiter zu stärken, zielgerichtet an ihren Schwächen zu arbeiten und an sich und ihren Weg zu glauben.

Reflexionsfrage: Wann hast du deine Athletin das letzte Mal gefragt wie es ihr geht, wie sie sich fühlt und was sie in ihrem Leben neben dem Sport aktuell beschäftigt?


3. Prozess anstatt Ergebnis.

Verlaufsorientierung

Symbolbild  "Kein Wettbewerb".

Der Vergleich der eigenen Fortschritte über einen bestimmten Zeitraum ist für Frauen tendenziell wichtiger als der Vergleich mit anderen. Die meisten Athletinnen wollen sich nicht ständig messen oder mit anderen verglichen werden. Vielmehr bevorzugen sie es, für den Prozess und ihre individuellen Fortschritte Anerkennung zu erhalten und gelobt zu werden. Durch konstruktive Kritik sowie ein fehlertolerantes Trainingsklima erfahren deine Athletinnen zusätzliche Unterstützung.

Reflexionsfrage: Welche neuen Fortschritte deiner Athletin hast du nicht nur festgestellt, sondern auch gelobt?


4. Die Beziehungsebene als A und O.

Soziale Situation in der Gruppe / Aufmerksamkeit

Volleyballeringen klatschen nach Punkt ab.

Die Stimmung in der Gruppe sowie die Beziehung zur Trainerin oder zum Trainer ist für die allermeisten Athletinnen eine wichtige Voraussetzung, um sich selbst und ihre Leistungsfähigkeit optimal entwickeln zu können. Schenke jeder Athletin mindestens einmal pro Training deine Aufmerksamkeit und schätze ihren Einsatz und ihre Fortschritte wert. Diese Wertschätzung wirkt sich positiv auf die Motivation und das Trainingsklima aus.

Es empfiehlt sich, nebst dem Training auch Aktivitäten oder Massnahmen zur Förderung des Teamgeistes einzuplanen. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine gross angelegte Wochenend-Aktivität handeln. Wie wär’s zum Beispiel mit der Einführung von Geburtstagsritualen oder eines gemeinsam organisierten Weihnachtsapéros? Das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit und ein guter Teamgeist tragen wesentlich zur Motivation deiner Athletinnen bei

Reflexionsfragen:

  • Wann hast du deiner leistungsschwächsten Athletin das letzte Mal deine Aufmerksamkeit geschenkt und sie für ihren Einsatz und ihre Fortschritte gelobt?
  • Welche Aktivität oder Massnahme zur Förderung des Teamgeistes könntest du bei deiner Trainingsgruppe einführen?

5. Reden ist Silber, Zuhören ist Gold.

Aktives Zuhören

Symbolbild: Hand hinter Ohr.

Höre deiner Athletin aufmerksam zu und interessiere dich aufrichtig für das, was sie zu sagen hat. Stell Fragen und nimm deine Athletin ernst. Sei empathisch, zeig Mitgefühl und Verständnis und unterstütze sie dabei, die für sie passenden Lösungen zu finden.

Reflexionsfrage: Was würde deine Athletin antworten, wenn wir sie fragen würden, ob du ein guter Zuhörer, eine gute Zuhörerin bist?


6. Reden wir über Emotionen.

Emotionsregulation

Symbolbild Emotionen

Emotionen sind für uns Menschen überlebenswichtig. Trotzdem fällt es vielen von uns schwer, offen über sie zu sprechen. Dabei ist es oftmals sehr befreiend, Emotionen zuzulassen und offen über Gefühlszustände zu reden. Bei Frauen ist dieses Bedürfnis häufig stärker ausgeprägt als bei Männern. Du als Trainer oder Trainerin sollst dies nicht einfach ignorieren, sondern offen mit deinen Athletinnen über deren Gefühle und Emotionen sprechen.

Reflexionsfrage: Wie reagierst du, wenn deine/eine deiner Athletinnen Athletin im Training oder am Wettkampf weint?


7. Trau dich, frauenspezifische Themen anzusprechen.

Offenheit und Vertrauen

Venussymbol

Zyklus und Menstruation, Verhütung, Sportbekleidung, Blasenschwäche, das richtige Körpergewicht für die Sportart oder ausgeprägte emotionale Reaktionen. Dies alles sind Themen, welche Athletinnen beschäftigen und wesentliche Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit sowie die Ausübung ihrer Sportart haben. Trau dich, diese Themen anzusprechen! Sie bieten dir nämlich die Möglichkeit, deine Athletin in ihrer Entwicklung z.B. mit einer auf sie angepassten Trainingsplanung noch gezielter zu unterstützen.

Es empfiehlt sich, frauenspezifische Themen mit den Athletinnen regelmässig und respektvoll auf individueller Ebene anzusprechen. Dafür eignen sich beispielsweise Auswertungs-/Analysegespräche nach Abschluss der Saison, bei denen diese Themen als wichtige Komponente der sportlichen Leistung angesehen und diskutiert werden. Was war gut? Wo haben wir noch Verbesserungspotential? Diese Fragen sollen nicht nur in Bezug auf die klassischen Bereiche wie Technik, Taktik, Kraft, Ausdauer oder Mentales gestellt, sondern eben auch auf frauenspezifische Themen bezogen werden. Die Basis für solche Gespräche bilden ein professioneller Kontext und eine von Vertrauen geprägte Trainer/in-Athletin-Beziehung.

Reflexionsfrage: Wann hast du das letzte Mal mit deinen Athletinnen über frauenspezifische Themen gesprochen?


8. Yes you can!

Selbstbewusstsein / Empowerment

Rückansicht: Athletin streckt Arme seitwärts aus.

Ermutige deine Athletinnen, ihre Komfortzone regelmässig zu verlassen. Unterstütze sie dabei, Hindernisse zu überwinden, ihre Grenzen zu verschieben und Normen neu zu definieren. Ermutige sie, Aussergewöhnliches zu tun, ihren eigenen Weg zu gehen und sich von der Masse abzuheben. Bestärke sie darin, zu ihrer Meinung zu stehen, eigene Entscheidungen zu treffen und das zu tun, was sie erfüllt und glücklich macht.

Reflexionsfrage: Was hast du diese Woche gemacht, um das Selbstbewusstsein deiner Athletin zu erhöhen?