Sweet Spot

Die Psychologie des Unterrichtens: Loben? Ja, aber...

Dies ist der Startschuss einer neuen Beitragsserie zum Thema »Die Psychologie des Unterrichtens». Dabei legen wir den Fokus auf Mechanismen, welche die Motivation und Lernerfolg fördern. Zum Auftakt richten wir die Scheinwerfer auf die Thematik Lob: Warum es motiviert, wann es schadet und vor allem: Wie es optimal eingesetzt wird.

Autor: Tim Hartmann, Fachspezialist bei Jugend- und Erwachsenensport am BASPO; Dozent für Sportpsychologie und Kampfsport am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel

Die Dynamik des Lobens lässt sich wie ein Koordinatensystem betrachten, in dem die waagrechte und senkrechte Achse unterschiedliche Aspekte abbilden. Während die Waagrechte die Quantität des Lobs beschreibt, beleuchtet die Senkrechte die inhaltliche Ausrichtung des Feedbacks. Gemeinsam ergeben sie den «Sweet Spot» – den Bereich, in dem Lob die beste Wirkung entfaltet.

Wo platzierst du die/den Ausbilder/-in?

Wo würdest du im Koordinationsystem die Ausbilderin oder den Ausbilder idealerweise setzen? Wie steht es um deine Kenntnisse in Sachen Loben? Du hast drei Versuche.

Lobt Anstrengung
Lobt Fähigkeit
5
A5
B5
C5
D5
E5
4
A4
B4
C4
D4
E4
3
A3
B3
C3
D3
E3
2
A2
B2
C2
D2
E2
1
A1
B1
C1
D1
E1
Lobt gar nicht
Lobt sehr viel

Auflösung

«Nicht geschimpft ist genug gelobt», lautet eine alte Führungsweisheit. Bloss, wer sich nach ihr richtet, handelt nicht wirklich weise. Schliesslich sehnt sich der Mensch nach Anerkennung und Wertschätzung. Ein Schulterklopfen, ein zustimmendes Nicken und natürlich die lobenden Worte schmeicheln unserem Ego. Sie fühlen sich nicht nur gut an, sondern steigern erwiesenermassen auch unsere Motivation. So untersuchte eine amerikanische Studie1 (siehe Literatur) in 151 Volksschulklassen das Verhältnis zwischen Lob und Tadel. Ergebnis: In Klassen, in denen die Lehrpersonen die Schüler vor allem lobten und wenig tadelten, war die Mitarbeit um fast 30 % höher als in Klassen, in denen das Verhältnis umgekehrt war.

Ein Lob auf das Lob also? Ja finden Psychologinnen und Psychologen und heben gleichzeitig den Mahnfinger: Zu viel Lob sei kontraproduktiv. So fand eine holländische Studie2 (siehe Literatur) heraus, dass gerade Kinder mit tiefem Selbstwert durch eine Überdosis an Lob verunsichert werden. Sie assoziieren das ständige Loben mit einer hohen Erwartungshaltung und fühlen sich unter Druck gesetzt. Aus Angst, dieser Erwartung nicht gerecht zu werden, zeigen die Kinder ein Vermeidungsverhalten. Sie ziehen sich zurück, meiden Herausforderungen und verpassen Lernchancen.

Wer übermässig lobt, tut dies meist auch bei Banalitäten. Vermutlich kennst du auch Eltern, die bereits das kleinste Gekritzel ihrer Sprösslinge euphorisch kommentieren und so tun, als hätte Picasso persönlich den Pinsel geschwungen. Auch Ausbilderinnen und Ausbilder fallen zuweilen in dieses Muster. Das ist zwar gut gemeint, aber nicht förderlich. Lobst du beispielsweise einen Trainingsteilnehmer für das Bewältigen einer sehr einfachen Aufgabe, signalisierst du dieser Person, dass du ihr wenig zutraust. Eine deutsche Studie3 (siehe Literatur) untersuchte Situationen, in denen jeweils zwei Teilnehmer einfache Aufgaben lösten. Während beide die gleiche Leistung erbrachten, wurde nur einer von ihnen gelobt. Paradoxerweise empfanden die gelobten Teilnehmer das Lob als entmutigend. Sie hatten das Gefühl, dass der Lobende ihnen weniger zutraute bzw. den anderen Teilnehmer für begabter hielt.

Fazit: Geize nicht mit Lob, aber überspanne den Bogen nicht. Orientiere dich an den Worten des Unternehmensberaters Richard Vizethum: «Loben ist wie Dünger, welchen man auf dem Feld der Leistung ausstreut. Zu wenig lässt die Pflanzen der Leistung kümmern, zu viel davon kann aber auch die Ernte verderben. Nur wohldossiertes ehrliches Lob lässt Höchstleistungen spriessen.»

Die Psychologinnen Claudia Mueller und Carol Dweck untersuchten in ihrer Studie4 (siehe Literatur) die Wirkung von unterschiedlichem Lob auf die Motivation. Sie liessen Kinder Aufgaben lösen und gaben ihnen unterschiedliches Feedback. Die einen lobten sie für ihre Intelligenz («Du bist aber schlau»), die anderen lobten sie für ihr Engagement («Du hast dich aber fest angestrengt»).

Nachher ging das Experiment in eine zweite Runde und die Kinder durften selbst wählen, ob sie einen schwierigen oder einen leichten Test lösen wollten. Von den Kindern, welche vorher für ihre Anstrengung gelobt wurden, wählten 90% den schwierigen Test. Jene Kinder, welche für ihre Intelligenz gelobt wurden, wählten mehrheitlich den leichten Test. Die Studienleiterinnen schlussfolgerten, dass das Lob auf die Anstrengung den Kindern die Kontrolle über ihr eigenes Handeln gibt. Das Loblied auf die Intelligenz nimmt den Kindern die Kontrolle. Scheitern sie beim Lösen einer Aufgabe, machen sie eine verminderte Intelligenz dafür verantwortlich («Ich bin halt zu dumm!»). Um diese Erfahrung zu vermeiden, wählen sie eher einfache Aufgaben und entwickeln sich so kaum weiter. Beziehe dein Lob deshalb auf veränderbare und somit kontrollierbare Aspekte. Lobe also Bemühungen und nicht die Persönlichkeit. Oder auch: Lobe den Prozess, nicht das Ergebnis.


Loben – 3 Praxisempfehlungen

  • Lobe möglichst konkret und verknüpfe das Lob mit zusätzlichen Informationen. Sage nicht nur ‹Toll, wie du heute gespielt hast›, sondern ‹Toll, wie du heute im Spiel immer wieder zurückgelaufen bist›. So ist das Lob motivierend und erlaubt zusätzlich einen Lerneffekt. Der Teilnehmer erfährt, was er gut gemacht hat.
  • Lobe den individuellen Fortschritt («Schön, wie Du dich in den letzten 2 Monaten beim Kopfball verbessert hast»).
  • Vorsicht: Wenn du unmittelbar nach einem Lob einen negativen Hinweis gibst, entkräftest du dessen positive Wirkung («Das war gut, aber …»). Lass ein Lob deshalb für sich stehen – und wirken!

Literatur

  • 1Caldarella, P., Larsen, R. A. A., Williams, L., Downs, K. R., Wills, H. P., & Wehby, J. H. (2020). Effects of teachers’ praise-to-reprimand ratios on elementary students’ on-task behaviour. Educational Psychology, 40(10), 1306–1322.
  • 2Brummelman, E., et al. (2014). Praise inflation: The effects of inflated praise on children’s motivation and performance. Child Development, 85, 1359-1374
  • 3Meyer, Wulf-Uwe (1984).  Das Konzept von der eigenen Begabung: Auswirkungen, Stabilitaet und vorauslaufende Bedingungen. Psychologische Rundschau, 35 (3), S. 136-150.
  • 4Mueller, C., & Dweck, C. (1998). Praise for Intelligence Can Undermine Children’s Motivation and Performance. Journal of Personality and Social Psychology, 75, 33-52.