«play more football» – Kleinfeldspiele im Vormarsch
Eine Studie im Schweizer Kinderfussball zeigt, dass ein neues Wettspielformat die Anzahl technischer und taktischer Aktionen im Vergleich zum traditionellen Format um 62 % erhöht. Beim neuen Spielformat «play more football» wird das traditionelle Grossfeld- mit einem zusätzlichen Kleinfeldspiel kombiniert.
Autoren: Mirjam Hintermann, Jörg Fuchslocher, Michael Romann, Dennis-Peter Born (EHMS), Joy Lara Walker, Raphael Kern, Dominik Müller (SFV)
Rund 60’000 Kinder im Alter von 5 bis 10 Jahren spielen in der Schweiz in einem Verein Fussball. Um allen Kindern einen freudvollen und lernreichen Einstieg in den Vereinssport zu ermöglichen, hat der Schweizerische Fussballverband SFV genauer hingeschaut und das bestehende Wettspielsystem hinterfragt.
Durch die darauffolgende Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM sowie der Unterstützung von Swiss Olympic ist basierend auf praktischer Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnis ein neues Wettspielformat im Kinderfussball entstanden: «play more football» kombiniert das traditionelle Grossfeld- mit einem zusätzlichen Kleinfeldspiel. Über zwei Jahre wurde dieses Projekt in der Praxis getestet, analysiert und wird nun in den nächsten drei Jahren landesweit eingeführt.
Kinder wollen spielen
Kinder eignen sich Kompetenzen im technisch-taktischen Bereich am besten in Spielformen mit häufigen und variantenreichen Aktionen an. Das heisst: Das Wettspielformat hat in der Ausbildung von jungen Spieler/innen eine hohe Bedeutung.
Der Kinderfussball sollte in Bezug auf die Entwicklung der Spielkompetenz allen Spieler/innen erstens, eine möglichst hohe aktive Spielzeit und -beteiligung, zweitens, möglichst viele Ballkontakte und drittens, eine hohe Variation an Spielsituationen und Positionswechseln ermöglichen. Hierbei beeinflussen die Spielfeldgrösse, Spieldauer, Regeln und Anzahl der Spieler auf dem Feld entscheidend den Verlauf und Ausgang des Spielgeschehens.
Grossfeld- vs. Kleinfeldspiele
Die Forschung beschäftigte sich in den letzten Jahren stark mit den Effekten verschiedener Spielformate auf technische, taktische und physiologische Parameter im Fussball. Es wird dabei zwischen Grossfeldspielen, den traditionellen Spielformen und Kleinfeldspielen, sogenannten small-sided games SSG, unterschieden.
SSG sind Spielformen, bei welchen auf einem reduzierten Spielfeld mit weniger Spielern und angepassten Regeln gespielt wird. Studien zeigen: Verglichen mit dem Grossfeldspiel kommen in Kleinfeldspielen mehr technisch und taktische Spielaktionen (Duelle, Abschlüsse, Pässe, etc.) vor.
Durch die Anpassung des Feldes spielen Kinder in einer Umgebung, die an ihre Fähigkeiten adaptiert ist. Gleichzeitig werden sie sehr spielnah und zielorientiert auf den späteren 11er Fussball vorbereitet. Jedoch zeigt auch das Grossfeldspiel in wissenschaftlichen Studien Vorteile gegenüber dem Kleinfeldspiel. Dabei wird vor allem das positionsspezifische Spiel, das Spiel in die Breite und Tiefe und das taktische Zusammenspiel mehr gefördert.
Um in Zukunft die Vorteile beider Spielformate bestmöglich für den Kinderfussball (Kategorien G, F, E) zu nutzen und die Kinder noch kompletter zu fördern, wurde das Projekt «play more football» ins Leben gerufen, mit der Idee, beide Formate an einem Spieltag zu spielen.
Die Ziele
Mit dem neuen kombinierten Wettspielformat will der SFV die folgenden Ziele erreichen:
- Mehr technische und taktische Spielaktionen für alle Kinder,
- das Erleben von mehr Ballannahmen, Pässen, Dribblings, Torabschlüssen und Duellen,
- das Erfahren von mehr unterschiedlichen Spielaktionen, wodurch die fussballerische Ausbildung verbessert wird,
- das Erleben von einer durchschnittlich höheren und intensiveren Spielzeit und somit eine Senkung der Gefahr eines Ausstiegs aus dem Sport aufgrund von mangelnder Spielzeit,
- die Erhöhung der Spielaktionsdichte durch das Kleinfeldspiel, wobei die Spieler gefordert werden, aktiver am Spiel teilzunehmen als im Grossfeldspiel,
- das kindergerechte Erlernen von Respekt, Fairplay und Selbständigkeit, wobei die Freude am Spiel immer im Fokus steht.
Die Untersuchung
In einer zweijährigen Untersuchung in der Kategorie E wurde die Kombination (4 gegen 4 und mit dem traditionellen Wettspielformat (7 gegen 7) verglichen. Rund 300 Kinder im Alter von 9 und 10 Jahren (10.23 ± 0.67 Jahre; Mittelwert ± Standardabweichung) nahmen an dieser Studie teil. Es wurde in einem Turniermodus mit vier Teams gespielt.
Die Interventionsgruppe IG spielte im ersten Teil des Turniers 3×10 Minuten das 4 gegen 4 (Abb. 1, grün), in Halbmannschaften auf kleineren Feldern mit vier Mini-Toren und ohne Torspieler. Im Anschluss wurden in einer 10-minütigen Pause zwei kleine (Abb. 1, grün) Felder zu einem grossen (Abb. 1, blau) Feld umgebaut.
Im zweiten Teil des Turniers spielten die Kinder 3×20 Minuten das gewohnte 7 gegen 7 mit Torspieler. Die Kontrollgruppe KG spielte nur das 7 gegen 7 auf dem grösseren Feld (Abb. 1, blau) ebenfalls in einem Turniermodus.
Mehr Spielaktionen für alle
Die Resultate zeigen: Spieler/innen im kombinierten Wettspielformat haben mehr Spielaktionen pro Spieler/in pro Minute (4.27 ± 2.11) als im traditionellen Wettspielformat (2.63 ± 0.94). In allen acht gemessenen technischen und taktischen Aktionen (Ballannahme, Pass, Dribbling, Ballführen, Abschluss, Duell, Pass abfangen, Ballbesitzer unter Druck setzen) zeigt sich eine grössere Anzahl an Aktionen im neuen, kombinierten Wettspielformat (P < 0.05) (Abb. 2).
Neben den quantitativen Analysen wurde bei fünf Parametern zusätzlich die Qualität der Ausführung der Spielaktionen analysiert (Ballannahme, Pass, Dribbling, Abschluss, Duell). Es zeigte sich, dass die Spieler/innen signifikant mehr erfolgreiche (IG: 1.98 ± 1.28; KG: 1.27 ± 0.71, P < 0.001) sowie mehr nicht-erfolgreiche (IG: 0.71 ± 0.41; KG: 0.39 ± 0.30, P < 0.001) Spielaktionen ausführen. Der prozentuale Anteil an erfolgreich ausgeführten Aktionen zwischen den beiden Wettspielformaten verändert sich jedoch nicht (IG: 45.0 ± 15.4 %; KG: 46.3 ± 16.1 %; P = 0.25).
Kein Kind kommt mehr zu kurz
Weiter wurden die Spieler/innen in den Wettspielformen einzeln untersucht und dabei basierend auf der Anzahl an Spielaktionen im 7 gegen 7 in drei Gruppen eingeteilt. Dominante Spieler/innen haben die meisten Aktionen (oberes Drittel), nicht-dominante die wenigsten Aktionen (unteres Drittel). Es zeigte sich, dass die dominanten Spieler/innen im Kleinfeldspiel 36 % und im 7 gegen 7 sogar 42 % aller Spielaktionen durchführten. Für die nicht-dominanten blieb so im Kleinfeld ein Prozentsatz von 29 % und im Grossfeld 24 % (restliche Aktionen im mittleren Drittel: 35 % und 34 %).
Dennoch hatten die nicht-dominanten Kinder im 4 gegen 4 im Schnitt einen höheren Anstieg (+71 %) in der Anzahl der Aktionen pro Spieler pro Minute als die Dominanten. In der Gruppe der nicht-dominanten Spieler/innen hatten alle im 4 gegen 4 mehr Aktionen als der Spieler mit den meisten Aktionen im 7 gegen 7. Da die Verteilung im Kleinfeldspiel fast gleich war zwischen den drei Gruppen, scheint es, dass speziell nicht-dominante Spieler/innen auf dem kleineren Feld einen grösseren Anteil am Spielgeschehen haben und somit alle am Spiel beteiligt sind und mehr Fortschritte machen können.
Für eine komplettere Förderung
Das kombinierte Spielformat bringt den Spielern/innen im Schnitt 62 % mehr Spielaktionen pro Spieler pro Minute (P < 0.05). Mehr technische und taktische Spielaktionen ermöglichen den Kinder auch mehr Entscheidungen in offensiven und defensiven Spielsituationen, was die Entwicklung der Spielintelligenz und der Kreativität fördert.
Die höhere Aktionsdichte im 4 gegen 4 fordert zudem eine aktivere Teilnahme am Spiel, wobei sich die Spieler/innen auf dem Feld kaum ‘verstecken’ können. Mehr erfolgreich und nicht-erfolgreich ausgeführte Spielaktionen erhöhen zugleich die qualitative Entwicklung der fussballspezifischen Fähigkeiten. Letzte führt durch die höhere aktive Spielbeteiligung zu mehr Engagement und Freude am Spiel.
Die Zukunft im Schweizer Kinderfussball
Aufgrund der positiven Erfahrungen in der Praxis sowie den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Projekt hat der SFV entschieden, im Kinderfussball neue Wettspielformate einzuführen. Alles mit dem Ziel, den Kindern eine ganzheitliche Ausbildung, eine hohe Spielzeit und möglichst viele Erfolgserlebnisse im Fussball zu ermöglichen. Die Neuerungen gelten für die ganze Schweiz und werden gemeinsam mit den Regionalverbänden in den nächsten drei Jahren umgesetzt.
Praktische Umsetzung
Das getestete kombinierte Wettspielformat hat überzeugt und den SFV dazu bewogen, alle drei Kategorien im Kinderfussball mit kombinierten Spielformaten anzupassen. Um einen kontinuierlichen Aufbau über die Alterststufen sicherzustellen, wurden in den Kategorien Anpassungen bei Spielerzahl und Feldgrösse vorgenommen.
Die Spielerzahl wurde in allen Kategorien reduziert, um die Komplexität nochmals zu verringern und die Spielbeteiligung zu erhöhen. Neu werden in allen Kategorien rund zweistündige Fussballturniere mit Gross- und Kleinfeldspielen durchgeführt. Tabelle 1 zeigt einen Überblick über die Neuerungen in den einzelnen Kategorien.
Weitere Infos zu den neuen kombinierten Wettspielformaten unter www.football.ch
Danksagung
Das Projektteam bedankt sich herzlich bei den Experten Marco Bernet und Adrian Elvedi für den stetigen Austausch und die Unterstützung während des ganzen Projekts sowie die Auswertungen der Videodaten. Wir danken ebenso allen Funktionärinnen/en, Trainerinnen/n und Spielerinnen/n der Untersuchungsgruppe aus dem Mittelländischen Fussballverband und dem Fussballverband Bern/Jura für ihre Bereitschaft, im Projekt «play more football» mitzuwirken.
play more «any sport»
Perspektivisch lassen sich die Erfahrungen des Projekts play more football mit dem kombinierten Wettspielformat auf andere Ball- und Teamsportarten übertragen. Beispielsweise im Unihockey wird bei den Jungen auf dem Kleinfeld 4 gegen 4 (inkl. Torhüter/in) gestartet. Der spätere Wechsel aufs Grossfeld (6 gegen 6 inkl. Torhüter/in) stellt für viele Spieler/innen einen sehr grossen Sprung dar. Das Feld wird grösser und somit auch die Distanzen zu den Mit- und Gegenspielern und zum gegnerischen Tor.
Das bedeutet: Die Taktik rückt in den Vordergrund und die Technik muss differenzierter angewendet werden (z.B. bei Pässen oder Abschlüssen). Gäbe es statt diesem Übergang die Möglichkeit, schon früher parallel Erfahrungen auf dem Grossfeld zu machen, wäre der Sprung aufs Grossfeld kleiner. Die Jungen würden bereits früh sehr flexibel und komplett ausgebildet, hätten mehr Spielaktionen und Eins-gegen-Eins-Verhalten auf dem Kleinfeld und mehr taktisches Zusammenspiel sowie spezifisches Positionsspiel im Grossfeld.