Sechs Grundthemen
Lernfähigkeit ist die Spitze eines Eisbergs an Kompetenzen, die von ganz klein auf erworben werden. Theorie und Praxis der Psychomotorik tragen zum Verständnis dieses komplexen Zusammenwirkens bei, das seinen Ursprung in der motorischen Erfahrung und insbesondere in der Bewegung mit anderen hat.
In einer jahrgangsdurchmischten Kindergartenklasse setzt das Bewegen zu zweit oder in der Gruppe umfangreiche Regulationen vonseiten der Kinder und der Lehrperson voraus. Unter dem Thema Beziehung – zu sich selbst und zu den andern – spornen die vorgeschlagenen Aktivitäten zu Anpassungen der Körperhaltung an, sie fordern das Zuhören Können und den nonverbalen Dialog. Es empfiehlt sich, sie regelmässig umzusetzen.
Getragen von der Freude an der Bewegung verankern die Vier- bis Sechsjährigen ihre Haltung, entwickeln die Wahrnehmungsfähigkeit ihrer Sinne und ihre Geschicklichkeit. Die drei erwähnten Bereiche sind eng miteinander verknüpft und stützen sich gegenseitig. Es ist deshalb sinnvoll, Aktivitäten dieser Bereiche zu kombinieren.
Über die sechs Themen spricht die Lehrperson wesentliche Bereiche der psychomotorischen Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler an und fördert sie. Selbstverständlich liesse sich die Themenpalette erweitern; die ausgewählten Themen stehen jedoch in einem direkten Zusammenhang mit den Zielsetzungen der Eingangsstufe.
Zusammensein, sich austauschen, einander gegenüber oder nebeneinander stehen, einander nahe sein … All dies sind Situationen, in denen manche Kinder noch ungeübt sind.
Besonders während der Kindergartenjahre ist es wichtig, dieses Zusammensein zu lernen. Die Möglichkeiten zur emotionalen Bewältigung und zur Interaktion mit den andern haben einen grossen Einfluss auf die gesamte Schulzeit des Kindes. Es ist deshalb wichtig, sich Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen zu lassen, Wörter zu finden für das, was man empfindet, und verschiedene Rollen einnehmen zu können (zuhören / gehört werden, schauen / angeschaut werden usw.). Nähe zuzulassen und sich respektvoll berühren zu können, sind Schlüssel für die Zukunft und das Zusammenleben.
Der Haltungstonus bezeichnet die Anspannung, mit der sich die aufrechte Stellung der Körperachse halten und verändern lässt. Diese Fähigkeit liegt allen Haltungs- und Stellungsänderungen zugrunde.
Eine starke Körperachse ermöglicht es, ohne Ermüdung zu sitzen, Arme und Hände für graphomotorische Aufgaben frei zu bewegen, die Gelenke und den Blick lenken zu können usw. Gibt die Lehrperson den Kindern Gelegenheit zur Stärkung ihres Haltungstonus, legt sie den notwendigen Grundstein für alle möglichen Aktionen im Alltag (sprechen, zeichnen, zuschauen usw.).
Die Wahrnehmung von Körperbewegung und –lage im Raum (Propriozeption) wird zusammen mit dem Haltungstonus trainiert. Dieser sechste Sinn ist besonders wichtig, weil er es ermöglicht, von innen die Lage des eigenen Körpers zu erfassen. Dank der Propriozeption lassen sich die Haltungen und Bewegungen ausrichten und konstant anpassen. Sie vermittelt auch ein konstantes Bewusstsein für den eigenen, auch unbewegten Körper und ist Teil des von innen ausgehenden Sicherheitsgefühls.
Unsere Sinne ermöglichen es uns, Informationen der Aussenwelt aufzunehmen. Ihre Verarbeitung impliziert unter anderem genaues Differenzieren dessen, was man fühlt (Qualität, Intensität, Orientierung usw.), und die Fähigkeit, wichtige und unwichtige Informationen auseinanderzuhalten. Um ein aufmerksamer Schüler zu werden, braucht es mindestens diese beiden Fähigkeiten.
Eine gut entwickelte Sensomotorik ermöglicht es dem Kind beispielsweise, den Blick auf die wesentliche Information zu richten, oder hilft ihm dabei, sich nicht vom kleinsten Geräusch oder dem Widerschein der Sonne auf der Fensterscheibe ablenken zu lassen. Weitere Beispiele dafür, wie wichtig es ist, genügend Zeit zur Mobilisierung der Kinder für sensorische Erkundungen einzusetzen, sind die Orientierung des Blicks beim Lesen oder das Anpassen des Drucks beim Schreiben.
Das Modulieren der eigenen Aktion in Abhängigkeit von der Empfindung ist auch in der Beziehung zum andern notwendig. Im Kindergarten fällt die Unbeholfenheit wegen einer schlecht gezielten Berührung oder eines verpassten Zuhörens unmittelbar auf. Sie zeigt nach und nach die grossen Unterschiede in der sensorischen Wahrnehmung zwischen den Kindern.
Ein Kind mit sicherem Körpergefühl und motorischer Leichtigkeit kann seine ganze Aufmerksamkeit aufs Spielen oder Lernen richten, weil es sich in seinem Körper geborgen fühlt.
Mit einem regelmässigen Angebot an bewegten Aktivitäten fördert die Lehrperson die Heranbildung der Basisbewegungsmuster und damit die Voraussetzung für die Entwicklung komplexerer Bewegungen. Vereinfacht gesagt, erlauben die grobmotorischen Errungenschaften die Entwicklung der Feinmotorik, eine der Vorbedingungen zum Schreiben und Zeichnen.
Jede Etappe ist also ebenso für sich selbst wie als Vorbereitung auf die nächste wichtig. Kinder mit einer gut entwickelten Psychomotorik ermüden weniger schnell und sind auf affektiver und kognitiver Ebene besser für Lernprozesse verfügbar.
Auf ein Signal hin, aufgrund eines vorgegebenen Tempos oder des Gruppenrhythmus die Bewegung anpassen zu können, bereichert das Kind ungemein. Die zu diesem Thema ausgewählten Aktivitäten gruppieren sich um zwei Arten von Kompetenzen: die Fähigkeit, die eigene Aktivität bezogen auf die Zeit strukturieren zu können (Zeiterkenntnis und Zeitgefühl) und die innere Regulierung des eigenen Aktivitätsniveaus (Adaptation).
Durch Bewegungsspiele lässt sich das Verständnis für zyklische Ereignisse (z.B.: Jahreszeiten) schulen. Sie sind auch lehrreich für das Erfassen der Dauer und den Erwerb von Zeitbegriffen über die Verbindung von Wahrnehmung und Darstellung.
Das eigene Aktivitätsniveau bezogen auf die Aufgabe oder den Kontext gestalten zu können, ist ein wichtiges Plus, das sich bei Bewegungsspielen einüben lässt. Das Kind entwickelt dabei die Fähigkeit, sich angemessen zu aktivieren oder sich neu zu konzentrieren ohne Hilfe einer Drittperson.
Bewegung im Klassenverband ist ein gutes Instrument, um zu lernen, zur Ruhe zurückzufinden, denn das Kind entwickelt sein Konzentrationsvermögen gerade aufgrund der feinen Unterschiede. Alle Spiele mit sonoren, visuellen oder taktilen Start- und Stoppsignalen fördern diese Entwicklung fördern.
Das Kind entdeckt zunächst den Raum des eigenen Körpers: oben/unten, innen/aussen usw. Anschliessend verallgemeinert es diese Konzepte im konkreten und schliesslich im dargestellten Raum, also auf einer Zeichnung oder einem Plan. Spiele rund um das Körperschema erlauben dem Kind, die räumlichen Vorstellungen im Erkennen des eigenen Körpers zu verankern.
Bewegung geschieht definitionsgemäss im Raum. Insofern ist es natürlich, erste räumliche Vorstellungen auf bewegtes Erforschen aufzubauen. Aufgrund einfacher Anweisungen, die Anhaltspunkte im Raum einbeziehen, erfasst das Kind nach und nach die Grundbegriffe und verbindet sie leichter mit dargestellten Anhaltspunkten (Zeichnungen, Pläne usw.).
Spiele im gemeinsamen Raum sind nicht selten Spiele in der Gruppe, die das Nachahmen zulassen, so dass die Übungen für Kinder mit wenig Orientierungssinn etwas Spielerisches bekommen.