Gleichstellung der Geschlechter
Eine Gleichstellung der Geschlechter im Sport in der Schule ist aus politischer und aus geschlechterpädagogischer Sicht nötig. Drei didaktische Hinweise im Lehrplan 21 zum Fach Bewegung und Sport ermöglichen die Gleichstellung der Geschlechter im Sportunterricht.
Laut Artikel 8, Absatz 3 der schweizerischen Bundesverfassung sind «Mann und Frau (…) gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. (…).»
Auch wenn der Artikel zur Rechtsgleichheit Mädchen und Knaben nicht direkt anspricht, so bildet doch die Gleichstellung von Kindern und Jugendlichen auch in der Schule, die einen zentralen Teil von Ausbildung ausmacht, eine wichtige Voraussetzung für die Gleichstellung Erwachsener. Die Gleichstellung der Geschlechter gilt also auch für die Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Die Leitungsgruppe des Nationalfondsprojekts 60 «Gleichstellung der Geschlechter» konkretisiert die geschlechterpädagogische Perspektive in ihrem Synthesebericht und empfiehlt: «… Lehrkräfte aller Schulstufen sollen Jungen und Mädchen ermutigen, ihre Interessen für Spielsachen, Sportarten, Freizeitbeschäftigungen, Schulfächer (…) zu verfolgen, auch wenn sie für das eine oder andere Geschlecht als untypisch gelten“ (vgl. Synthesebericht NFP 60, 2014: abstract ‹pdf› ).
Das geschlechterpädagogische Anliegen gilt also auch für den Sport in der Freizeit bzw. für den Sport in der Schule, indem z.B. geschlechteruntypische Sportarten vermittelt werden können bzw. geschlechterstereotype Vorstellungen zu überschreiten sind (vgl. zum Sport in der Schule, Gramespacher 2006 ). Lehrpläne oder Lehrmittel können Hinweise geben, inwiefern Lehrpersonen der Anforderung, den auf Gleichstellung der Geschlechter bezogenen Auftrag im Sportunterricht umzusetzen, nachkommen können – und dürfen. Das sei im Folgenden am Lehrplan 21 (D-EDK, 2014) illustriert:
Was sieht der Lehrplan 21 vor?
Im Lehrplan 21 (D-EDK, 2014) finden sich drei didaktische Hinweise zu den Themen Heterogenität, Geschlechtssensibilität sowie Geschlechterhomogenität und -heterogenität. Sie sind für die Gleichstellung der Geschlechter im Sportunterricht relevant, und werden im Folgenden kurz vorgestellt und direkt auf Mädchenförderung bezogen:
1. Der didaktische Hinweis «Heterogenität berücksichtigen» verweist auf die Kategorie Geschlecht als eine relevante Differenz im Sportunterricht: «Körperliche, psychische und kognitive Voraussetzungen sowie Geschlecht, soziale Herkunft, Begabungen und Interessen sind bei der Planung und Gestaltung des Unterrichts zu berücksichtigen. Durch einen vielseitigen Bewegungs- und Sportunterricht mit differenzierten Leistungserwartungen und angepassten Unterrichtsarrangements ergeben sich individuelle Herausforderungen» (D-EDK, 2014).
Mädchenförderung im Sport in der Schule bezieht sich demnach sowohl auf Mädchengruppen als auch auf einzelne, individuelle Mädchen, und eine polysportive Unterrichtsgestaltung dient der Mädchenförderung.
2. Während der didaktische Hinweis «Heterogenität berücksichtigen» dem Sportunterricht neben der Kategorie Geschlecht weitere soziale Differenzen – soziale Herkunft, Begabungen und Interessen – zuordnet, ist der zweite im Gleichstellungskontext stehende didaktische Hinweis spezifisch formuliert und ausschliesslich auf die Kategorie Geschlecht bezogen. Er weist darauf hin, wie sich individuelle Herausforderungen in Bezug auf Mädchen und Knaben darstellen: «Das Ziel eines geschlechtssensiblen Sportunterrichts besteht darin, das Bewegungs-, Spiel- und Ausdruckspotenzial durch einen bewussten Umgang mit den Eigenheiten von Mädchen und Jungen zu fördern, z.B. durch angepasste Unterrichtsarrangements, differenzierte Leistungserwartungen und Reflexion von geschlechtsspezifischen Vorlieben» (D-EDK, 2014).
Diese Spezifikation macht auf das mögliche Vorhandensein geschlechter- bezogener Eigenheiten aufmerksam, und benennt sie explizit als zu fördernde Bereiche. Zugleich ist die Annahme geschlechterspezifischer Eigenheiten als Spezifikation allerdings problematisch, denn sie verweist auf tradierte, geschlechterstereotype Vorstellungen – und bestärkt sie allenfalls. Diese Spezifikation widerspricht auch dem zentralen geschlechterpädagogischen Anliegen, die Überschreitung spezieller und allenfalls geschlechterstereotyper Interessen oder sportlicher Schwächen anzustreben. Für Mädchenförderung im Sportunterricht ist es wichtig, die Annahme geschlechterspezifischer Eigenheiten aktiv zu hinterfragen, denn eine solch offene Haltung seitens der Lehrperson bildet eine zentrale Voraussetzung dafür, geschlechterpädagogische Ziele zu erreichen.
Die Betrachtung der beiden genannten didaktischen Hinweise im Lehrplan 21 im Lichte gleichstellungspolitischer und geschlechterpädagogischer Anliegen verweist auf ein Spannungsfeld zwischen der Annahme, es gäbe geschlechterbezogene Eigenheiten und der Forderung, geschlechtertypische Vorstellungen im Sinne der Gleichstellung im Sportunterricht aufzulösen. Dieses Spannungsfeld kann auf der Basis des dritten didaktischen Hinweises im Lehrplan 21 konstruktiv bearbeitet werden, auch wenn dieser didaktische Hinweis zunächst ausschliesslich organisatorischer Art ist.
3. Der dritte didaktische Hinweis im Lehrplan 21 geht zwar auch von Geschlechterdifferenzen aus, wenn es heisst: «Mädchen und Jungen haben aufgrund ihrer Entwicklung und Sozialisation unterschiedliche Neigungen und Bedürfnisse (z.B. in Bezug auf Themenwünsche, Krafteinsatz, Inanspruchnahme von Raum und Aufmerksamkeit der Lehrpersonen). Um beiden Geschlechtern gerecht zu werden, wird hier empfohlen, ab dem 3. Zyklus den Unterricht mehrheitlich geschlechtergetrennt zu organisieren» (D-EDK, 2014).
Wenngleich dies eher nicht die Absicht dieses didaktischen Hinweises sein dürfte, so eröffnet der Hinweis dem Konzept Reflexive Koedukation im Sportunterricht allerdings (auch organisatorisch) eine Chance, denn: «mehrheitlich geschlechtergetrennt» bedeutet zugleich: phasenweise geschlechterheterogen. Lehrpersonen könnten im Fach Bewegung und Sport diesen sport- und zugleich geschlechterpädagogisch bedeutsamen Hinweis für Mädchenförderung nutzen – allenfalls nicht nur im dritten, sondern auch im ersten und im zweiten Zyklus schulsportlicher Bildung und Erziehung.
Didaktische Hinweise im Lehrplan 21 zum Sport in der Schule ermöglichen Mädchenförderung, und damit können gleichstellungspolitische wie geschlechterpädagogische Anliegen im Sportunterricht umgesetzt werden.
Im Sportunterricht können Lehrpersonen der Empfehlung des NFP 60 Projekts Gleichstellung der Geschlechter ebenso folgen wie sie das Konzept Reflexive Koedukation im Sport in der Volksschule